Um die eigenen Kunden zu halten und neue Zielgruppen anzusprechen, müssen sich die etablierten Finanzinstitute strecken. Denn ob Online-Banken, FinTechs wie N26 oder Global Player à la Google oder Apple – das Konkurrenzumfeld für Banken und Sparkassen in Deutschland wächst und stellt diese zunehmend vor Herausforderungen. Hinzu kommen neue regulatorische Bestimmungen wie PSD2, die den Bankenmarkt weiter öffnen und FinTechs den Zugang zu Kunden erleichtern.
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Fähigkeit der Finanzinstitute, innovative digitale Services in ihr Portfolio zu integrieren, dramatisch an Bedeutung. Im Rahmen eines Experten-Panels diskutieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einerseits, welche Voraussetzungen die Finanzinstitute auf der Entwicklungsseite schaffen müssen, um selbst in der Lage zu sein, innovative Services zu kreieren. Der Experten-Rat geht zudem der Frage nach, wie Banken in Zukunft auf Verbraucherdaten zurückgreifen können, um die Kunden mit den passenden Services individuell anzusprechen und so neue Erlösmöglichkeiten für sich zu entwickeln.
Teilnehmerinnen und Teilnehmer:
- Sandra Ficht (Head of Digital Banking & Payments bei Capgemini Consulting)
- Dr. Dirk Neuhaus (Hochschule der Sparkassen-Finanzgruppe, Informationssysteme in Finanzdienstleistungsunternehmen)
- Carolin Gabor (Managing Director bei Finleap)
- Christian Kastner (Geschäftsführer Star Finanz GmbH)
- Marco Schöning (Leiter Vertrieb Star Finanz GmbH)
Moderation:
- Thomas Rosenhain (Redaktion SparkassenZeitung)
Moderator: Heute gehen wir grundsätzlich davon aus, dass durch die Digitalisierung die Beziehung der Sparkassen zu den Kunden neu definiert wird. Aber wie grundlegend verändern sich die Kundenbeziehungen tatsächlich, und inwieweit bleibt manches auch bestehen?
Sandra Ficht: Ich sehe einen klaren Wandel. Die Bank als ehrwürdige Institution, also ganz klassisch als Gebäude, in das Kunden hineingehen, sich beraten lassen und dann schlauer oder mit mehr Geld wieder hinausgehen, dieses Bild hat sich verändert. Heute passiert einerseits ganz viel alltägliches Bankgeschäft, ohne dass es die Kunden merken, weil sie irgendwo in einer App etwas kaufen und vom dahinterliegenden Bankprozess nichts mehr mitbekommen. Die Bank ist heute in vielen Fällen also nicht mehr in der Rolle einer Person oder einer Einrichtung, sondern ein Prozess, der im Hintergrund stattfindet.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch noch genug Aspekte, wo die Bank nach wie vor als beratende Institution gefragt ist. Geht es zum Beispiel um größere, nicht alltägliche Geschäfte wie einen Immobilienkredit, erwarten die Kunden nach wie vor, dass sie mit jemandem persönlich sprechen können. Hier ist die Bank noch immer in der Rolle, in der sie früher war; jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: Kunden erwarten, dass die Bank ihnen auf Augenhöhe begegnet. Denn, Google und Co. sei Dank, verfügen die Kunden heute grundsätzlich über die gleichen Informationen, wie ihre Bank. Das heißt, sie interagieren ganz anders miteinander. Die Bank wird heute viel mehr als Dienstleister und Partner wahrgenommen.
Moderator: Diejenigen, die das gerade so stark verändern, sind insbesondere FinTech-Unternehmen und die großen Internetkonzerne. Hier erkenne ich mitunter eine große Diskrepanz zwischen Sparkassen und FinTechs: Die Sparkassen haben das Gefühl, dass sie etwas tun müssen – die FinTechs wollen es. Teilen Sie diesen Eindruck?

Dr. Carolin Gabor: Wenn wir unseren Alltag heute anschauen, ist es erstaunlich, wie vieles wir digital nutzen. Wir schauen kaum noch Fernsehen, wir nutzen Netflix, Musik hören wir über Spotify, wir buchen unseren Urlaub nicht mehr im Reisebüro, sondern über Airbnb – alles physische Produkte, die vor Jahrzehnten schon voll digitalisiert wurden. Im Gegensatz dazu sind Finanzprodukte reine Information. Sie sind im Vergleich zu Schallplatten, CDs, Büchern oder Filmen so leicht zu digitalisieren, aber es hat trotzdem viel länger gebraucht. Das hat auch damit zu tun, dass es den Banken einfach zu lange zu gut ging. Sie haben gutes Geld verdient. Das hat sich erst mit dem Rückgang der Zinseinnahmen deutlich verändert. Der Innovationszugzwang im Finanzsektor, den wir jetzt erleben, ist einerseits dem Druck auf finanzieller Seite sowie andererseits dem Wunsch der Kunden geschuldet, Dienstleistungen, analog zu anderen Branchen, möglichst einfach und digital in Anspruch zu nehmen.
Moderator: Was passiert, wenn Google, Amazon oder Apple richtig auf den Markt drängen?
Dr. Carolin Gabor: Amazon ist heute einer der größten Kreditgeber für Händler in den USA und bieten dort schon Privatkonten an. Damit werden sie irgendwann auch nach Deutschland kommen. Dann haben wir noch chinesische Player wie das Internet-Unternehmen TenCent, das bereits heute der größte Verkäufer von Versicherungen in China ist. Für sie ist es ein Leichtes, ihre Plattformen auch in Deutschland anzubieten. Banken und FinTechs müssen miteinander jetzt hart daran arbeiten, die Branche nicht wieder an Unternehmen aus den Vereinigten Staaten oder China zu verlieren. Sie müssen ihre Kräfte bündeln und überlegen, wie sie gemeinsam eigene Plattformen entwickeln können.

Dr. Christian Kastner: Aus meiner Erfahrung möchte ich hier ein Stück weit differenzieren. In den Großstädten sind viele junge Leute sicher ganz affin gegenüber den Amazons oder Alibabas dieser Welt. Aber wir haben 80 Millionen Bundesbürger und allein die Sparkassen haben 40–50 Millionen Privatkonten. Davon finden heute lediglich 50 Prozent in einer digitalen Welt statt. Und zwar nicht, weil die Sparkassen das nicht wollen, sondern weil die Kunden das nicht wollen. Gerade auf dem Land haben die Sparkassen noch viele Kunden, die trauen schon dem Online-Banking bei ihrem Institut nicht, die werden definitiv auch keinem Banking bei Amazon trauen. Hier genießen die Banken einen klaren Vertrauensvorschuss, und wenn sie es schaffen, diesen Vertrauensvorschuss und die Kundenbindung, die sie haben, mit vernünftigen digitalisierten Lösungen zu verbinden, sind sie in einer extrem guten Position. Wenn sie das nicht hinbekommen, wird man sie hingegen zurückdrängen.
Beim Wettbewerb denken wir aber oft zu kurz, reden immer nur über FinTechs und die Tech-Giganten. Doch auch im kaufmännischen Bereich treten zunehmend Unternehmen in den Vordergrund. Anbieter wie DATEV setzen sich genauso wie Banken mit der Frage auseinander, wie sie ihre Prozesse im Firmenkundengeschäft vereinfachen und digitalisieren können. Und diese haben schon heute große Plattform in Deutschland.
Sandra Ficht: Aber in allen Fällen passiert eigentlich hintendran genau das Gleiche: Die Bank verkommt irgendwann zur reinen Commodity. Sie verliert das Gesicht zum Kunden. Ob das Gesicht zum Kunden nachher ein Amazon, ein FinTech oder DATEV ist, die Bank verschwindet dahinter und macht nur noch Dienstleistung. Und das kann nicht sein.
Moderator: Wo stehen die Sparkassen hier in Zukunft, verschwinden sie wirklich aus dem Blickfeld der Kunden?

Prof. Dr. Dirk Neuhaus: Die Sparkassen haben große Chancen im Markt, sie sind ja auch schon weit gekommen, was die digitalen Services angeht. Doch die Bank als Alles-Anbieter, Alles_Könner, die gibt es für mich so nicht mehr. Ich sehe da drei Ausprägungen. Entweder wird die Bank zum reinen Relationship-Manager, das heißt sie führt die Beziehung zum Kunden, die Produktwelt interessiert sie nicht mehr, die kommt von externen Anbietern. Zweitens kann die Bank sich als Produktexperte positionieren, indem sie Kooperationen mit anderen FinTechs eingeht und sagt: Ich bin das Warenhaus für digitale Finanzdienstleistungen aus allen Bereichen.
Die dritte Ausprägung wäre für mich der Technology Service Provider, das heißt, die Bank stellt die Technologie offen und sagt, wir haben unsere Schnittstellen und jeder kann auf unsere Plattform zugreifen. Für die Sparkassen halte ich eher den zweiten Gedanken, diesen Marktplatzgedanken, für aussichtsreich.
Moderator: Aber die Gefahr, dass Banken verschwinden – Frau Ficht sagte das – ich glaube die wenigsten kriegen mit, dass die Kreditkarte von Amazon aus dem Sparkassenlager kommt.
Sandra Ficht: Genau das meine ich: Die Bank verschwindet im Hintergrund. Das heißt nicht, dass sie nicht mehr da ist, es kann sogar ein Modell für sie sein. Aber das geht nur, wenn sie auf Masse skalieren kann. Das ist aber für meine Begriffe nicht das, wo eine Sparkasse hingehört. Das wäre ein völlig falscher Ansatz. Sparkassen stehen im Gegenteil dafür, das Gesicht zum Kunden zu behalten.
Dr. Carolin Gabor: Entweder man ist derjenige, der das beste Produkt anbietet. Das muss dann aber das Günstigste sein und komplett personalisiert, also eine klassische Kompetenz eines Technologieunternehmens. Die andere Strategie baut hingegen darauf auf, selbst die Plattform zu sein und einen Schwerpunkt zu setzen; sei es rund um ein Thema oder rund um generisches Finanzmanagement. Das heißt dann wiederum auch, dass es nicht darum gehen kann, immer das Produkt der Bank zu verkaufen. Aus Endkundenperspektive kann sich die Bank so als digitaler Finanzhelfer oder Finanzcoach positionieren.
Sandra Ficht: Wir können auch noch einen Schritt weitergehen: Die Bank wird zum Lebenshelfer. Plattformen – obwohl ich lieber von Ökosystemen sprechen würde – müssen Mehrwerte bereitstellen, und dieser Mehrwert für den Kunden kann und wird auch Produkte und Services beinhalten, die noch nicht mal Bank sind, sondern darüber hinaus gehen. Das können zum Beispiel Versicherungen oder eine Mietberatung sein. Das hat den Vorteil, dass Banken neue Kunden frühzeitig binden können. Das funktioniert aber nur, wenn sie diese Kundenschnittstelle besetzen.
Dr. Carolin Gabor: Die Kompetenz, die man benötigt, um eine Kundenschnittstelle zu besetzen und dem Kunden ein Erlebnis zu bieten, das so gut ist wie bei Amazon, Uber oder Airbnb, ist aber typischerweise keine Kompetenz einer Bank. Und das ist schwierig.
Finanzprodukte sind jedoch oft noch so komplex, dass die meisten Menschen, egal, wie digitalaffin sie sind, trotzdem immer noch eine Beratung wünschen. Und solange das so ist, haben meiner Ansicht nach gerade Häuser wie die Sparkassen, die die Nähe zum Kunden haben, noch die Chance, in hybride Modelle zu gehen.
Moderator: Was sagen die Institute auf dem platten Land, welche digitalen Services nutzen oder fordern sie?

Marco Schöning: Wir merken in der Sparkassen-App, wie viel es gebracht hat, die Berater präsenter zu machen. Die Sparkassen registrieren im Text- oder Video-Chat eine überwältigende Resonanz. Das führt zu unterschiedlichen Reaktionen. Es gibt Sparkassen, die wollen diesen Kommunikationskanal erstmal wieder abschalten, die anderen ihn wiederum erst richtig aufbauen. Das ist aber nicht weiter verwunderlich, denn die Verteilung von 50 Prozent online-affinen und 50 Prozent Offlinern ist eben auch bei den Mitarbeitern der Banken und Sparkassen zu beobachten. Das heißt, es gibt eine alte Garde, die möglichst viele Prozesse analog anbieten will. Und das ist die spannende Herausforderung und auch größte Schwierigkeit in einigen Häusern. Wir können dieses Thema nicht mit dem Schlaghammer angehen, sondern müssen herausstellen, dass es vollkommen in Ordnung ist, dass es zwei Lager an Mitarbeitern gibt. Beide sind wichtig, wir müssen sowohl die als auch die Digital-muffel mit ins Boot holen.
Moderator: Regionalität kann man im Internet schwer abbilden, einige Sparkassen versuchen es trotzdem. Sie versuchen, ihren Marktplatz im Internet darzustellen und gerade die regionalen Partner zu suchen. Ist das eine Strategie, die man umsetzen kann?
Prof. Dr. Dirk Neuhaus: Da haben die Sparkassen gegenüber den Großbanken einen riesigen Vorteil, weil sie ihre Mittelständler vor Ort kennen und eine direkte Beziehung zu ihnen aufbauen. Im Grunde ist dies eine Kunst: Wie schaffe ich es, die Lokalität und die Kunden vor Ort mit den digitalen Lösungen zusammenzubringen, die standardisiert und flächendeckend angeboten werden. Das ist eine Herausforderung, an der die Sparkassen noch arbeiten müssen.
Dr. Christian Kastner: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Banken und Sparkassen langfristig nur erfolgreich sind, wenn sie das, was sie sich aufgebaut haben – nämlich Sicherheit, Kundenbeziehung und die analoge Plattform, die sie heute in der Republik haben – in die digitale Welt überführen. Und die analoge Plattform wird dann immer noch der große Vorteil sein. Ich ziehe mich ja nicht völlig aus der Fläche zurück, sondern biete dem Kunden Vorteile durch die Kombination von analog und digital. Das ist ein unheimlicher Vorteil gegenüber Amazon – oder ketzerisch gesagt, Amazon geht jetzt den umgekehrten Weg. Sie haben erkannt: Digital reicht nicht, ich muss trotzdem irgendwo vor Ort unterwegs sein.
Sandra Ficht: Ich bin total bei Ihnen, was das Vertrauen und die Sicherheit angeht, und ich glaube, das ist leider tatsächlich der einzige Vorteil, den Banken und Sparkassen gegenüber FinTechs und den Tech-Unternehmen haben. Warum machen zum Beispiel meine Eltern kein Online-Banking? Nicht, weil sie der Bank nicht vertrauen, ganz im Gegenteil, sondern weil sie dem Internet nicht trauen. Das heißt, warum denn nicht als Sparkasse genau darauf aufsetzen und sagen, unser Weg in die digitale Zukunft führt über das Thema Sicherheit? Ja, wir öffnen uns, wir bieten unseren Kunden eine Plattform, ein Ökosystem an, wir schaffen den Mehrwert, aber immer unter dem Siegel der Sicherheit. Das große sichere Gebäude, das wir früher waren, das ist jetzt eine große digitale, sichere Plattform. Jeder, der darauf mit uns interagiert, der hat ein Sicherheitszertifikat von der Sparkasse. Und dann kann man doch die FinTechs andocken, weil es keine Bank in Deutschland schaffen wird, diese Innovationen in einer ausreichenden Geschwindigkeit auf den Markt zu bringen, das schaffen nur die FinTechs oder großen Tech-Unternehmen. Wenn die Banken und Sparkassen es hinkriegen, zu so einer Plattformgeschichte zu kommen und dann wirklich auch Dritte anbinden, dann bin ich sicher, dass die Leute, die heute noch nicht so digitalaffin sind, diesen Schritt auch mitgehen werden.
Prof. Dr. Dirk Neuhaus: Wenn wir verschiedene Lösungen vergleichen, dann ist eine Erkenntnis zentral: Es setzt sich am Ende immer die Dienstleistung durch, die einfacher und kostengünstiger ist. Dabei spielt das Alter der Nutzer keine Rolle, sondern viel mehr, ob das Produkt einfach ist. Apple wäre doch nie erfolgreich gewesen, hätten wir eine Smartphone-Schulung benötigt.
Moderator: PSD2 öffnet Schnittstellen für die FinTechs oder eben auch andersrum für Sparkassen. Was verändert sich aus dieser Richtlinie, sowohl für Banken als auch für FinTech-Unternehmen?
Dr. Carolin Gabor: PSD2 eröffnet die einmalige Chance, aus dem Datenschatz, Erkenntnisse zu gewinnen, um den Kunden dann hyperrelevante Angebote machen zu können. Die Bereitstellung solcher banken- und disziplinenübergreifenden Dienstleistungen, die sich aus den Kundendaten generieren lassen, sind der Schlüssel, um die Bank als digitalen Lebensbegleiter zu etablieren.
Marco Schöning: Was die Potenziale der Datenanalyse angeht, stehen die Banken und Sparkassen noch am Anfang. Über die Multibankenfähigkeit von Banking-Apps können Kunden heute zwar die laufenden Konten abdecken. Bei der Abfrage von Versicherungen wird es aber schon schwierig, weil die meisten Versicherungen so etwas gar nicht anbieten. Aber dieses disziplinenübergreifende Angebot ist genau das Thema, wo die Banken letztendlich hinmüssen, erst dann haben sie den Mehrwert für die Kunden und sind in der Lage, sich als digitalen Lebensbegleiter zu etablieren. Das geht nur, wenn die Anbieter alle Energie und Gedanken darauf verwenden, aus den Kundenumsätzen und Daten, die sie heute schon haben, das Bestmögliche rauszuholen.
Sandra Ficht: Das Verrückte ist, die Kunden gehen eigentlich davon aus, dass die Daten genutzt werden.
Marco Schöning: Genau, das Bewusstsein der Banken muss hier stärker werden: Die Daten sind vorhanden, also mache ich was draus. Das Thema Datenschutz darf keine Ausrede für Passivität sein. Ich bin überzeugt, dass die Entwicklung von datenbasierenden Angeboten auch vor dem Hintergrund des Datenschutzes funktioniert, die Banken müssen nur die richtigen Wege finden, um ihre Projekte in diesem Bereich umzusetzen.
Sandra Ficht: Es ist eine Frage der Herangehensweise. Und Banken beschäftigen sich oft erst mit der Frage, was dagegenspricht, warum sie eine Idee nicht machen können. Das machen FinTechs nicht. Sie bauen eine Vision und verfolgen diese erstmal. Sie setzen voraus, dass es geht. Und wenn sie dann irgendwo dahin kommen, wo es nicht geht, dann überlegen sie, wie es gehen kann. Das ist eine Frage des Mindsets.
Dr. Christian Kastner: Sie haben völlig recht, nur bin ich zutiefst davon überzeugt, dass dies kein Verhalten ist, das speziell die Banken an den Tag legen, sondern jedes Unternehmen, das aus einem analogen Geschäftsmodell kommt und damit Werte geschaffen hat. Bei den Banken ist es das Thema Sicherheit. Und sie können das nicht komplett ausblenden und anfangen, wie ein FinTech zu denken. Ich halte das nicht einmal für sinnvoll. Die Unternehmen stehen erstmal vor der Herausforderung, die Transformation ihres Geschäftsmodells zu bewerkstelligen und dieses mit einer digitalen Denkweise zu kombinieren. Alles über den Haufen zu werfen und FinTech sein zu wollen, macht da keinen Sinn.
Moderator: Es gibt noch Sparkassen, bei denen kein einziger Online-Abschluss möglich ist.
Marco Schöning: Durchaus. Es gibt ja auch noch 386 Sparkassen mit 150 verschiedenen Aufbauten, was die Online-Dienstleistungen angeht. Schaut man sich die größeren Sparkassen an, haben die da acht Leute sitzen. Bei anderen wiederum sind es bloß zwei Teilzeitkräfte. Der Schwerpunkt ist nicht bei allen gleich. Es gibt Bereiche, da wird das Thema eher noch abgebaut als gefördert. Wenn ich da keinen sitzen habe, der sich darum kümmert und agieren darf, dann wird da auch nichts kommen.
Sandra Ficht: Die Frage ist auch, warum muss es 386 verschiedene Online-Auftritte geben? Kann das nicht einer sein?
Dr. Christian Kastner: Ein Internetauftritt einer Sparkasse hat ja nicht das Ziel, Kunden in München für eine Sparkasse in Hamburg zu akquirieren, sondern die analoge und die digitale Welt vor Ort zu verbinden. Und damit muss ich natürlich der Sparkasse zugestehen, dass sie weiß, was für ihre Klientel das Beste ist. Und ja, manchmal hängt der eine hinterher, man kann das natürlich alles noch viel besser machen und schneller vorankommen. Dennoch wird es auch in einer optimalen Welt immer Unterschiede geben, weil eben 386 Unternehmer für sich die Frage bewerten, wie sie den Menschen vor Ort das bestmögliche Banking bieten können. Und das bestmögliche Banking wird im Bayerischen Wald anders sein als in Berlin, Köln oder dem Saarland.
Moderator: Wie schwierig ist es, für so eine Struktur Standards zu schaffen? Wie bekommen wir das hin?
Prof. Dr. Dirk Neuhaus: Die Technologieplattform macht es möglich, dass ein Kunde der Sparkasse Dortmund einen Berater bei der Sparkasse Köln-Bonn konsultieren kann. Das ist doch das Thema: Wo bin ich einerseits in meinem Heimathafen organisatorisch an die Sparkasse angebunden, und wo bewege ich mich andererseits in Deutschland? Und wenn mich die Sparkasse Köln-Bonn in diesem Moment gut beraten kann, bleibe ich doch weiter Kunde der Sparkasse. Es ist wichtig, dass der Kunde wahrnimmt, dass ihm geholfen wird.
Sandra Ficht: Ich möchte nur einen Satz zwischenschieben: Digitalisierung ermöglicht ja sogar, das noch viel hybrider zu machen, als wir es früher hatten, weil der Kunde theoretisch seinen Berater in Tübingen nach Berlin holen kann. Dann muss der noch nicht mal einen Termin am Wochenende zu Hause in Tübingen machen, sondern könnte genauso gut von Berlin aus mit ihm sprechen. Er ist Kunde der Sparkasse. Er mag seinen Berater dort, aber ob das Sparkasse Tübingen, Paderborn oder Berlin ist, ist dem Kunden zurecht vollkommen egal.
Dr. Carolin Gabor: Wenn man über das Regionalprinzip und die Digitalisierung nachdenkt, ist es wichtig, dass der Kundenwunsch in den Mittelpunkt gerückt wird, und nicht die Maßgabe, was die Bank konkret machen darf, was geht und was sie politisch hinkriegt. Sobald man so denkt, entspricht es wahrscheinlich nicht mehr dem Kundenwunsch, sondern es kommt dann ein übler Kompromiss heraus, der dem Kunden wahrscheinlich keinen Mehrwert bietet.
Moderator: Was sind wichtige Trends und Entwicklungen, die die kommenden Jahre besonders prägen werden?
Prof. Dr. Dirk Neuhaus: Das Smartphone wird seinen Platz weiter ausbauen. Die digitalen Services müssen auf das Smartphone kommen. Wir haben noch so viel Potenzial, wenn wir die bestehenden Finanzprodukte noch viel mehr digitalisieren.
Dr. Christian Kastner: Durch das Thema Künstliche Intelligenz wird der Digitalisierung einen sehr starker Schub erfahren. Das wird die nächste Stufe der Industrialisierung im Dienstleistungsbereich sein. Wir sind immer besser in der Lage, Big Data mit Künstlicher Intelligenz zu verknüpfen und dem Kunden damit ganz andere Beratungserlebnisse zu bieten. Die Entwicklung eröffnet den Weg zu einer umfassenden kaufmännischen Beratung der Kunden. KI wird in naher Zukunft einer der maßgeblichsten Trends sein.
Moderator: Frau Gabor, wie bewerten Sie Kooperationen zwischen FinTechs und Banken?
Dr. Carolin Gabor: Die FinTechs merken, dass es unheimlich schwer ist, für Finanzprodukte eine vertrauensvolle Marke aufzubauen und Kunden zu gewinnen. Die Kundenakquisitionskosten über Online-Marketingkanäle sind teuer. Entsprechend gibt es in Deutschland auch nur eine Handvoll B2C-FinTechs, die ein wirklich nachhaltiges Geschäftsmodell haben. Sowohl die FinTechs als auch die Banken streben deshalb verstärkt Kooperationen an. Die beiden Welten kommen zusammen, die Bankenwelt mit der etablierten, vertrauensvollen Marke und der großen Kundenbasis, und die FinTech-Welt mit ihrem innovativen Willen und guten Idee, wie sie den Kunden nicht nur ein Produkt verkaufen, sondern insbesondere ein Problem lösen können. Diese Kooperationen funktionieren fantastisch.
Moderator: Frau Ficht, was beobachten Sie?
Sandra Ficht: Ich glaube, dass Daten wirklich das große Thema sind. Die Banken müssen nicht unbedingt die einzelnen Produkte in ihrem Ökosystem besitzen oder entwickeln. Viel wertvoller ist es für sie, die Plattform zu besitzen und auf den Datentransfer, der darauf generiert wird, zugreifen zu können – das ist ein unfassbarer Schatz. Wenn sie diesen nutzen können, tun sich ganz neue Geldströme und Möglichkeiten der Monetarisierung auf. Dazu gehören Partnermodelle mit FinTechs oder öffentlichen Einrichtungen, die in dieses Ökosystem miteingebunden werden. Auch hierfür lassen sich wieder Monetarisierungsmodelle finden, die das klassische Bankgeschäft auf den Kopf stellen und in eine ganz neue Richtung erweitern.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei der SparkassenZeitung
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