Die Female Economy ist ein größerer Wachstumsmarkt als China und Indien zusammen. Das Vermögen von Frauen wächst weltweit, unter anderem getrieben von der anhaltenden Bewegung hin zu mehr ökonomischer, rechtlicher und sozialer Gleichberechtigung. Dennoch erreichen Finanzinstitute aktuell Frauen mit ihren Angeboten nicht.
In einer aktuellen Studie mit dem Titel „Frauen in der Finanzwelt – Gender Gaps und nicht erkannte Bedürfnisse“ untersuchte der Sparkassen Innovation Hub (S-Hub) nun die Situation und Erwartung von Frauen an Finanzinstitute. Die Studienergebnisse basieren auf einem umfangreichen Desk-Research sowie auf Befragungen und Zukunftsszenarien.
Ein Hauptergebnis der Studie: In der Banking-Welt herrscht ein Financial Services Gender Gap. Die Bedürfnisse von Frauen werden weder in den Produkten noch der Beratung von Finanzinstituten genügend beachtet. Der Großteil der aktuellen Services ist in Form eines „One size fits all“-Ansatzes oft auf Männer zugeschnitten, sowohl in der Ansprache als auch im funktionellen Umfang.
Kerstin Berghoff-Ising, Vorstandsmitglied der Sparkasse Hannover, sagt: „Hier schlummert großes Potenzial. Frauen streben immer stärker nach finanzieller Unabhängigkeit und sind der Wachstumsmarkt der Zukunft. Internationale FinTechs haben das bereits erkannt. Finanzinstitute müssen ihre Angebote noch besser auf die Lebensrealitäten von Frauen ausrichten, so dass sie ihre Kundinnen in jeder Lebensphase optimal unterstützen und beraten können.“
Individuell und vielfältig: Die Lebensphasen einer Frau
Der Grund, warum die aktuellen Services für viele Frauen unpassend sind: Frauen leben in einer anderen finanziellen Realität als Männer. Diese ist von unterschiedlichen Gender Gaps geprägt, von denen der Gender Pay Gap der bekannteste ist. Diese Gender Gaps entstehen, weil Frauen in ihrem Leben sehr unterschiedliche Phasen durchlaufen (siehe Abbildung 1a und 1b), die wesentlich volatiler als die der Männer sind, und sich oft Situationen stellen müssen, die finanziellen Druck erzeugen. Dazu gehören etwa berufliche Auszeiten oder Teilzeitarbeit, um die Sorgearbeit für Kinder oder ältere Angehörige zu übernehmen, der (Wieder-) Einstieg ins Berufsleben, Scheidung oder der Verlust des Partners. „Diese unterschiedlichen Hauptetappen im Leben einer Frau bringen verschiedene finanzielle Bedürfnisse mit sich. Frauen sind damit eine sehr heterogene Zielgruppe und jede Kundin sollte individuell entsprechend ihrer jeweiligen Lebensphase und den daraus resultierenden Bedürfnissen beraten werden. Dies ist aktuell jedoch nicht der Fall“, sagt Milena Rottensteiner, Leiterin des S-Hub.

Nach Zahlen der Financial Alliance for Women sind Frauen mit diesem Status Quo unzufrieden: 80 Prozent glauben, dass Anlageberater nicht ihre Bedürfnisse verstehen, 73 Prozent sind unzufrieden mit ihrem Finanzanbieter und 70 Prozent glauben, dass Vermögensverwalter ihr Angebot mehr an Frauen anpassen müssen. Für Finanzinstitute besteht deshalb Handlungsbedarf, wenn sie den Anschluss an FinTechs behalten und die Potenziale der Female Economy heben wollen. Basierend auf Zahlen aus verschiedenen Studien verpassen Finanzinstitute weltweit 700 bis 800 Milliarden US-Dollar an Gewinn, weil sie keine Services für Frauen anbieten oder unter Berücksichtigung der weiblichen Lebensphasen entwickeln und vermarkten.
Um das Angebot für Frauen zu verbessern, erarbeitete der S-Hub im Rahmen der Studienerstellung gemeinsam mit Sparkassen deshalb auch Handlungsoptionen, wie die spezifischen Bedürfnisse der weiblichen Zielgruppe angesprochen und Frauen in Sachen Finanzen bestärkt werden können. Handlungsbedarf besteht vor allem in den Bereichen Beratung, Finanzplanung und Management, Investieren und Kredite, denn diese stellen zentrale Knotenpunkte im finanziellen Leben der Kundinnen dar.
Beratung: Umfassende Informationen und Beratung auf Augenhöhe sind noch keine Selbstverständlichkeiten
Frauen wissen gute Finanzberatung zu schätzen: Im Vergleich zu nur 25 Prozent der Männer investieren 37 Prozent der Frauen mit Hilfe einer Beratung und 60 Prozent empfinden ein Gefühl der Sicherheit durch professionelle Beratung. Allerdings fühlen sich 67 Prozent der Frauen von ihrer Finanzberatung missverstanden. Frauen wollen sich oft gründlicher über Finanzprodukte informieren als Männer und bemängeln unzureichende Erklärungen der Bankberater sowie intransparente Rahmenbedingungen. Eine Befragung von Sparkassen-Kundinnen auf der Co-Creation Plattform MOVE des S-Hub kam zudem zu der Erkenntnis, dass in gemeinsamen Beratungen mit dem Partner überwiegend der Mann angesprochen wurde, obwohl es um die Frau ging oder diese sogar über mehr Finanzwissen verfügte.
Für die Praxis bedeutet das, dass Frauen stärker auf Augenhöhe beraten werden müssen. Das höhere Informationsbedürfnis macht es umso wichtiger, dass unnötiger Fachjargon vermieden wird und lebensnahe Beispiele angeführt werden (zum Beispiel bei der Berechnung der Versorgungslücke). Auch weiterführende Angebote wie Workshops oder Intensivkurse für Frauen, die sich direkt an ihren Bedürfnissen und Lebensphasen ausrichten, wären interessante Angebote.
Finanzplanung und Finanzmanagement: Frauen streben nach Sicherheit und Kontrolle
Das Verhältnis von Frauen zu Geld und Finanzen ist widersprüchlich: 85 Prozent der Frauen sind sehr in die kurzfristigen Finanzentscheidungen ihres Haushalts involviert, sie tragen zum Beispiel die Verantwortung für die täglichen Ausgaben. Allerdings kümmern sich nur 20 Prozent der Frauen in Deutschland selbst um die Langzeitplanung ihrer Finanzen. 21 Prozent teilen sich die Verantwortung mit dem Partner und 60 Prozent geben die Verantwortung dafür komplett an ihren Partner ab. Zudem schätzen sich Frauen oftmals weniger kompetent als Männer in Bezug auf finanzielle Entscheidungen ein, obwohl sie eigentlich über das nötige Wissen verfügen. Dabei hat die aktive Auseinandersetzung mit den eigenen Finanzen eine positive Wirkung: Frauen, die Entscheidungen mit ihrem Partner teilen, fühlen sich um 90 Prozent weniger gestresst und sind um denselben Prozentsatz selbstbewusster. Insbesondere bei vermögenden Frauen besteht ein höheres Bedürfnis, sich über finanzielle Angelegenheiten auszutauschen.
Eine gute Planung, die sich an den Lebenswirklichkeiten und -phasen orientiert, kann hier für Sicherheit sorgen und Kundinnen individuelle Chancen aufzeigen, beispielsweise eine bessere Altersvorsorge, Absicherung für den Scheidungsfall oder Möglichkeiten zur Weiterbildung nach der Elternzeit.
Zudem streben Frauen in finanziellen Angelegenheiten nach Sicherheit und Kontrolle. Prognosen und Übersichten mindern Stress, was das Planen und Managen von Finanzen erleichtert. Es braucht deshalb digitale und individualisierte Finanzübersichten zur Optimierung und Planung des verfügbaren Vermögens, die auch Aufschluss darüber geben, wie sich in verschiedenen Lebensphasen der finanzielle Bedarf ändert. In unserer modernen Gesellschaft sind hierbei die unterschiedlichsten Konstellationen denkbar – von der alleinerziehenden Gründerin bis zur gestandenen Karrierefrau, die ausreichend finanzielle Freiheit für einen vorzeitigen Ruhestand erreichen möchte. Gleichzeitig sollte direkt anwendbares Finanzwissen geboten werden, um das finanzielle Sicherheitsgefühl zu steigern. Möglichkeiten dafür sind unter anderem digitale Budget-Planer, Schulden- und Zinsrechner, Portfolioübersichten oder auch In-App-Learning oder Coaching Sessions.
Investieren: Nachhaltigkeit und Austausch stehen im Mittelpunkt
Die Mehrheit der Frauen bevorzugt noch immer das klassische Sparen, statt ihr Geld am Kapitalmarkt anzulegen. Das Investitionspotenzial bei Frauen zwischen 30 bis 60 Jahren in Deutschland und Österreich umfasst 39 Milliarden Euro. Wenn Frauen sich für Investments am Kapitalmarkt entscheiden, investieren sie jedoch anders als Männer beziehungsweise legen andere Schwerpunkte: So legen 84 Prozent der Anlegerinnen Wert auf einen positiven Impact für Umwelt und Soziales. 48 Prozent der Anlegerinnen wollen in Zukunft sogar nur noch in nachhaltige Unternehmen investieren. Darüber hinaus sind Frauen risikobewusster und fürchten im Vergleich zu Männern häufiger Kursschwankungen. Sie tasten sich deshalb langsamer an riskantere Finanzanlagen heran und haben ein hohes Informationsbedürfnis. Zudem suchen Frauen beim Investieren nicht den Wettbewerb zu anderen Anleger:innen, sondern nach einem Austausch und Inspiration, beispielsweise in Form von Investment-Diskussionen in den sozialen Medien.
Dementsprechend wünschen Frauen sich eine klare Kommunikation zu (nachhaltigen) Anlageprodukten und Unterstützung beim Einstieg. Ein niedrigschwelliger Zugang ist hier elementar. Auch der Gemeinschaftsgedanke sollte gefördert werden. Die BW-Bank beispielsweise bietet ihren Kundinnen im Rahmen des BeWoman-Projekts bereits die Möglichkeit, sich innerhalb eines stetig wachsenden Netzwerks mit anderen Frauen auszutauschen
Kredite: Menschliche Einschätzung statt automatisiertem Scoring
Frauen sind am Kreditmarkt unterversorgt, denn volatile Lebensphasen wie Elternzeit und die Gender Gaps erschweren die Kreditwürdigkeit. So sind Kredite für Frauen aufgrund ihres durchschnittlich geringeren Einkommens im Mittel 8 Prozent teurer als für Männer. Zudem haben sie eine statistisch geringere Chance, überhaupt einen Kredit bewilligt zu bekommen. Dabei sind Frauen die zuverlässigeren Schuldnerinnen. In Deutschland sind 12,6 Prozent der Männer überschuldet, aber nur 7,7 Prozent der Frauen. Zudem zahlen Frauen ihre Kredite in größeren Raten zurück.
In der Praxis sollte deshalb bei der Kreditvergabe auf eine ganzheitliche Einschätzung gesetzt werden, um insbesondere für Frauen die Krediterfahrung zu verbessern und den Geschlechterbias zu überwinden. Kredite mit flexiblen Raten und optionalen Ratenpausen ermöglichen Frauen, sicher und ohne ein Gefühl der Benachteiligung durch bestimmte Lebensphasen zu navigieren.
Die Female Economy ist ein Wachstumsmarkt, das gilt insbesondere für die Finanzbranche. Um den Wünschen und Ansprüchen der weiblichen Zielgruppe besser gerecht zu werden, bedarf es jedoch einer Ausrichtung auf entscheidende Lebensphasen durch empathische Beratung und bedarfsgerechte Angebote. Kerstin Berghoff-Ising, Vorstandsmitglied der Sparkasse Hannover, sagt: „Die Studienergebnisse vom S-Hub zeigen, dass wir unsere Services für Frauen noch verbessern können. Wir wollen unsere Kundinnen auf ihrem Lebensweg begleiten und sie in ihrer individuellen finanziellen Planung beraten, bestärken und unterstützen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor hierbei ist ein breit aufgestelltes, diverses Team, das unterschiedliche Blickwinkel bei der Entwicklung von Produkten und Services einnehmen kann und damit zum besseren Verständnis verschiedener Zielgruppen beiträgt.“
Angetrieben vom gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Diversität und Gleichberechtigung entwickeln Frauen auch im Banking-Bereich neue Ansprüche an die Service-Leistungen und das generelle Angebot von Finanzinstituten, da ihre Bedürfnisse lange Zeit nicht ausreichend in der Vermarktung und Produktentwicklung berücksichtigt wurden. Das haben vor allem FinTechs erkannt, wodurch neue Angebote am Markt entstehen.
Ziel der Studie war es, das umfassende Thema „Frauen und Finanzen“ sowie dessen Potentiale zu konkretisieren und Handlungsempfehlungen für eine weitere Betrachtung zu generieren. Hierfür wurden die wichtigsten Hindernisse, Bedürfnisse und Ziele der Kundinnen formuliert sowie ein Abgleich zum aktuellen Marktgeschehen und existierenden Initiativen in der Sparkassen-Finanzgruppe vorgenommen. Die Studienergebnisse basieren auf einer umfangreichen Recherchearbeit, welche im Rahmen eines Design Sprints diskutiert und konkretisiert sowie durch Befragungen und Erarbeitung von Zukunftsszenarien ergänzt wurden.