In unserer Serie über prägende Frauen in der FinTech- und Digitalbranche richten wir unseren Blick dieses Mal auf die Schweiz und stellen euch Christina Kehl vor, die u.a. den digitalen Versicherungsmakler Knip und den Branchenverband Swiss Finance Startup gründete.
Könntest Du Dich unseren Lesern bitte einmal kurz vorstellen? Was sind die wichtigsten Positionen in Deiner Laufbahn und wie hast Du den Weg in die FinTech-Branche gefunden?
Kurz zusammengefasst: Ich bin Juristin, Startup-Gründerin, Verbandsvorstand, Beirätin, Verwaltungsrätin und Outdoor-Fan. Vor sieben Jahren kam ich von Deutschland über Helsinki und London nach Zürich und kann behaupten in der Schweiz wirklich angekommen zu sein. Es waren sieben extrem ereignisreiche Jahre, von der Gründung meines Insurtech-Startups Knip und dem Aufbau der Schweizer Fintech Szene, hinzu mehr digital-strategischer Arbeit mit dem Schweizer Bundesrat und meinem Verwaltungsratsmandat bei der Globalance Bank.
Aktuell bist Du Mitgründerin und Partnerin von Pixpolitico – welche Ziele verfolgst Du mit der digitalen Strategieberatung? An welchen Themen arbeitest Du mit Deinen Kunden aus Gemeinden, Kantonen und Institutionen?
Unsere junge Digitalstrategieagentur Pixpolitico konzipiert und operationalisiert Digitalstrategien für die Verwaltungseinheiten von Bund, Kantonen, Gemeinden sowie für Politik und Verbände. Unsere Arbeit ist überparteilich und nur der Zukunft verpflichtet. Seit über zehn Jahren begleiten wir den digitalen Wandel und beraten u.a. in unterschiedlichen Funktionen den Bundesrat und kantonale Regierungsmitglieder. Wir kennen und verstehen die neuesten technologischen Entwicklungen und ihren Einfluss auf unser gesellschaftliches Zusammenleben. Mit unserer Arbeit wollen wir die Gesellschaft positiv beeinflussen und die Menschen auf die digitale Zukunft vorbereiten. Unsere Fokusthemen sind zum Beispiel ganz aktuell die Auswirkungen der Covid19-Krise auf den Arbeitsmarkt, das Gesundheitswesen und die Sozialsysteme. Daneben bin ich überzeugt, dass unser westliches Bildungswesen dringend ein “digitales Update” benötigt und wir lebenslang agil und selbstverantwortlich neue (berufliche) Themen verstehen, evaluieren und bearbeiten lernen.
Dazu passt, seit 2017 bist Du Mitglied des Beirats für digitale Transformation des Schweizer Bundesrats: Wie funktioniert die Zusammenarbeit auf Regierungsebene? Welche Projekte konntest Du mit Deinen Kolleginnen und Kollegen in Gang setzen?
Der Beirat digitale Transformation ist ein beratendes Wirtschaftsgremium, das dem Schweizer Bundesrat helfen soll, die grossen Zukunftsleitlinien der digitalen Wirtschaftsentwicklung informiert zu setzen. Die Zusammenarbeit mit der Regierung und ihren Stäben ist äusserst interessant, da man Einblick in die Wirkungskreise des Verwaltungs- und Politapparats erhält, aber auch die Grenzen des Wünschenswerten durch staatspolitische Vorgaben erkennt.
Seit Neustem bist Du auch im Verwaltungsrat der Globalance Bank: Welche Aufgaben beinhaltet diese Rolle?
Zunächst ist es die klassische Rolle einer Bankrätin: Ich trage die strategische Verantwortung der Entwicklung der Bank mit. Daneben ist Globalance für mich aber einzigartig: ich stosse zu einem fantastischen, unternehmerischen Team, das “mehr als Geld bewegen” möchte. Durch meine Erfahrungen in den Bereichen Fintech und Digitalisierung werde ich die Bank tatkräftig unterstützen können und hoffentlich ihre Mission von nachhaltigen und zukunftsfähigen Geldanlagen mit neuen (weiblichen & digitalen) Perspektiven bereichern.
Du bist Gründerin und Geschäftsführerin des Fintech-Branchenverbandes Swiss Finance Startups: Welche Themen hast Du in dieser Position in den vergangenen sechs Jahren am meisten umgetrieben? Auf welche Leistungen bist Du besonders stolz?
Unsere Hauptaufgabe war sicher die politische wie mediale Positionierung von Fintech und Startups in der Schweiz. Junge (Tech-) Unternehmen brauchen eine politische Stimme im Parlament, in der Gesetzgebung und ihre Bedürfnisse müssen in der Verwaltung bekannt sein. Hierfür sind wir schweizweit der prominenteste Startup-Ansprechpartner. So hatten wir bei unserer jährlichen Flagship-Veranstaltung, der Swiss Fintech Fair, mehrere Male einen Bundesrat zu Gast. Dies macht uns sehr stolz und zeigt die Bedeutung der Fintech- und Startup-Szene. Darüber hinaus galt es auch die Medien auf die Arbeit der Startups aufmerksam zu machen, um junge Menschen zu inspirieren und Innovation in der Schweiz aus den Hochschulen “auf die Strasse zu holen” und auf den Boden zu bringen.
Wie steht die Schweiz als traditionelles Bankenland in Sachen FinTech-Innovationen da? Welche Unterschiede siehst Du zwischen der Schweiz und Deutschland?
Die Schweiz ist ein kleines Land mit grosser Finanzgeschichte. Wealth Management und Sicherheit sind tief in der DNA des Zürcher Finanzplatzes verankert. Entsprechend blickt man mit Stolz auf diese Historie zurück und die Anfänge der Kollaboration im Bereich Tech, Open Banking und Digitalisierung waren eher harzig. Man beäugte sich gegenseitig mit Misstrauen. Dies hat sich erfreulicherweise in den letzten Jahren hin zu mehr Kooperation und Kollaboration verändert. Traditionelle Banken erkennen die Chance des digitalen Wandels und suchen hierfür Unterstützung sowie Inspiration bei jungen Fintech-Unternehmen. Meine Ernennung in den Verwaltungsrat der Globalance Bank ist das beste Beispiel für diesen kulturellen Wandel.
Welche Erfahrungen hast Du als Frau in der FinTech- und Digital-Szene gemacht?
Gute 🙂
Da einem Mann diese Frage in der Regel nicht gestellt wird, belasse ich es bei dieser kurzen Antwort.
Warum ist es wichtig, dass mehr Frauen in der FinTech- und Digital-Branche Fuß fassen?
Diversity im weitesten Sinne ist immer ein Gewinn für jedes Unternehmen, jede Branche, jede Industrie. Verschiedene Sichtweisen, Meinungen, Argumente und Hintergründe bereichern jede Diskussion. Und dies ist bei weitem nicht zu beschränken auf die Gender- oder Altersfrage.
Befürwortest Du vor diesem Hintergrund Quotenregelungen?
Ich befürworte Regelungen, die die geeignetsten Personen jeden Alters, Geschlechts, sexueller Orientierung und fachlicher Ausbildung fordern und fördern. Ich bin gegen fachliche sowie persönliche “Bubbles” und Seilschaften. Ich bin für Vielfalt und Diskurs.
Welche Tipps kannst Du Gründerinnen oder Berufseinsteigerinnen geben? Gibt es typische Studienfächer oder Karrierewege?
Geht euren eigenen Weg. Verfolgt die Themen, die für euch richtig und wichtig sind, egal was alle anderen sagen. Glaubt an euch. Verwirklicht eure Träume, aber seid dabei smart und bleibt unabhängig. Gerade als Unternehmer/in gibt es sehr viele volatile und harte Zeiten. Und doch ist es die tollste Berufung, die ich mir persönlich vorstellen kann.
Was sind Deine Pläne für die Zukunft?
Mir wird nicht langweilig. Gerade die Covid19-Krise zeigt beruflich wie politisch unglaublich viele Chancen und Opportunitäten auf. Gerne möchte ich diese Zukunft, positiv und nachhaltig mitgestalten. Zudem ist es mir ein Anliegen Vorbild zu sein, dass digitales Unternehmertum auch weiblich, gesellschaftspolitisch, fair und erfolgreich sein kann – wenn man will. Den Silicon Valley-100-Arbeitsstunden-pro-Woche-Mythos würde ich gerne ausräumen und aufzeigen, dass es ein Leben neben der Unternehmertätigkeit, gerade auch für junge Frauen, Mütter und Menschen, die nicht all ihre Erfüllung nur in der Arbeit finden, geben kann und sollte. Kreativität entsteht nicht am Schreibtisch.
Zum Schluss, bleibt bei so vielen Mandaten noch Freizeit übrig? Wie füllst Du die freien Stunden am liebsten aus?
Ich achte sehr auf meine Work-Mountain Balance. Meiner Überzeugung nach bin ich beruflich am effektivsten und kreativsten, wenn sich der operative Work Load in Grenzen hält und ich Zeit zum (Nach-)Denken habe. Entsprechend arbeite ich nur vier Tage pro Woche und versuche möglichst an den Wochenende, in den Ferien und an freien Tagen keine Mails zu lesen, keine Anrufe zu empfangen und mich mit anderen Themen zu beschäftigen, die mich inspirieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Weitere Interviews und Hintergrundartikel zum Thema Digitalisierung und FinTech gibt es hier