Der Tag des ersten Kontaktes: In der Late Night Show „Last Week Tonight“ beschrieb John Oliver 2018 Kryptowährungen treffend als „alles, was Sie über Geld nicht verstehen, kombiniert mit allem, was Sie über Computer nicht verstehen“.
Die Welt hat sich in den vergangenen vier Jahren gewandelt und das Wissen über Kryptowährungen nimmt stetig zu. Im von Economist Impact herausgegebenen „Digimentality Report“ gaben im Juni 2022 85 Prozent der Befragten an, dass Open-Source-Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether ein geeigneter Baustein zur Portfolio- Diversifizierung sind. Nach den Kursverlusten der letzten Wochen dürfte sich dieser positive Ausblick deutlich eingetrübt haben.
Die Adopter-Gruppen
Und Kryptowährungen sind nur der Anfang. Die Blockchain-Technologie hat das Tor zu einem Milliarden-Markt geöffnet. Unablässig treffen neue Produktinnovationen auf eine stetig wachsende Kundenschaft. Aus dem anfänglichen Push entsteht zunehmend ein Sog, auch wenn es aktuell nach einer längeren Konsolidierungsphase aussieht.
Start-ups und Scale-ups in diesem Bereich adressieren vor allem junge gebildete Nutzer:innen mit einem vergleichsweise hohen Jahreseinkommen und versuchen zuletzt, diese vor allem durch Sportsponsoring zu erreichen.
Die Crypto.com Arena in Los Angeles, die FTX Arena in Miami und Bitpanda beim Davis Cup – Unternehmen mit Krypto-Bezug sind im Sport mittlerweile überall zu sehen. Von 2019 auf 2021 sind Sport- Sponsorings von Unternehmen aus dem Blockchain-, NFT- und Krypto-Bereich um 1.100 Prozent gewachsen.
Was macht gerade diese Zielgruppe für Unternehmen interessant? Um eine Antwort auf diese Frage zu geben, lohnt sich ein Blick auf die Diffusionstheorie des Soziologen Everett M. Rogers. Rogers beschäftigte sich mit den Prozessen, die durch die Einführung und Verbreitung von Innovationen in einem sozialen System, wie dem des Marktes, ausgelöst werden. Die Entscheidung, eine Innovation anzunehmen oder abzulehnen, ist demnach keine spontane Reaktion, sondern ein sozialer Prozess, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und eine Reihe von Handlungen beinhaltet.
Nicht jeder nimmt eine Innovation dabei zum gleichen Zeitpunkt an. Rogers definiert fünf Verbrauchertypen, die – gemessen vom Zeitpunkt der Markteinführung – die Innovation früher oder später aufgreifen: Innovators, Early Adopter, Early Majority, Late Majority und Laggarts.
Mit den genannten Brand-Sponsorings von Sport-Events sprechen Unternehmen nun bewusst die Early Majority an. Geht diese Rechnung auf, werden wir in den kommen- den Jahren einen deutlichen Anstieg an Kund:innen im DLT-Umfeld verzeichnen. Denn die Early Majority ist entscheidend für den Erfolg einer Innovation. Nur, wenn die „frühe Mehrheit“ die Innovation an- nimmt, hat diese das Potenzial, sich nach- haltig durchzusetzen.
Bei erfolgreichen Innovationen ergibt sich eine charakteristische S-Kurve in der Adaptionsrate. Während die Steigung am Anfang des Diffusionsprozesses noch relativ gering ist, nimmt die Kurve nach Erreichen der sogenannten kritischen Masse an Fahrt auf und steigt stark an. Sobald dieser Punkt erreicht ist, verbreitet sich die Innovation im System selbsttätig weiter.
Phasen einer Innovation
Doch nicht nur die explizite Zielgruppe spricht für Sport-Sponsoring. Auch wenn Kryptowährungen in den vergangenen Jahren stark in den Mainstream gerückt sind, verbinden viele Menschen sie immer noch mit hohen Stromkosten, Geldwäsche, Terrorfinanzierung und ganz aktuell mit deutlichen Kurseinbrüchen.
Kryptos haben ein Imageproblem – Brand- Sponsorings von Sport-Events genießen hingegen ein deutlich höheres Vertrauen als herkömmliche Werbefomen. Nur Empfehlungen von Freunden werden als vertrauenswürdiger eingestuft.
Wie ist das Vertrauensproblem von Kryptos nun zu bewerten? Sehen wir hier bereits die Vorboten eines Endes der Krypto-Ära? Die massiven Kursverluste der letzten Wochen sprechen dafür. In einem schwachen Marktumfeld ergeht es Kryptowährungen wie spekulativen Tech-Titeln: Sie fliegen aus den Portfolios. Als Krisenabsicherungen haben sich Bitcoin und Co. damit vor- erst disqualifiziert.
Die Akzeptanz einer Innovation geschieht laut Rogers nicht von heute auf morgen. Der Sicherheitsgurt zum Beispiel, wurde
in den 50er-Jahren in Deutschland ein- geführt. Erst seit Mitte der 70er-Jahren ist er Pflicht. Der Prozess der Adaption bis zur vollständigen Akzeptanz dauerte somit mehr als 20 Jahre.
Und so durchlaufen auch Kryptowährungen derzeit einen Prozess in dem sie von der Gesellschaft entweder übernommen oder auch abgelehnt werden können.
Die Entscheidung, eine Innovation anzunehmen oder abzulehnen nennt man Adoptionsprozess. Sie kann laut Rogers in fünf Phasen eingeteilt werden: Knowledge, Persuasion, Decision, Implementation und Confirmation Phase.
- Knowledge-Phase
Die meisten Menschen sind Innovationen und neuen Technologien gegenüber zu Beginn eher skeptisch eingestellt – das liegt in unserer Natur. Neue Technologien setzen ein hohes Grundlagenwissen voraus, um die Anwendung korrekt zu verstehen und noch ein höheres um die Funktionsweise zu adaptieren.
So konnten noch vor wenigen Jahren nur technisch versierte Nutzer:innen Kryptowährungen erwerben und sicher verwahren. Dies änderte sich schnell. Heute können Kund:innen auch ohne Vorwissen Kryptos über Broker wie Coinbase mit einem Klick per App handeln.
- Persuasion-Phase
Die Persuasion-Phase beschreibt das Stadium, in dem Kund:innen ihre eigene Meinung entwickeln, weswegen diese Phase eine sehr wichtige zur Ausbreitung einer Innovation ist.
Dabei spielt das soziale Umfeld genauso eine Rolle wie die eigene Hausbank.
Der vermehrt geäußerte Wunsch von Kund:innen wie Kundenberater:innen eine Position zu Kryptowährungen zu beziehen, ist ein deutliches Zeichen, dass mehr und mehr Menschen diese Phase erreicht haben.
- Decision-Phase
In der dritten Phase wird die tatsächliche Entscheidung getroffen. Dadurch wird die zuvor gebildete Einstellung in konkretes Handeln überführt.
Einer aktuellen repräsentativen Umfrage von Psyma zufolge, sind neun Prozent aller Befragten im Besitz einer Kryptowährung. Grob jeder Zehnte in Deutschland hat demnach diese Phase erreicht und positiv für sich beantwortet.
- Implementation-Phase
Entscheiden sich Kund:innen für die Nutzung, findet das Thema einen neuen Platz im Alltag.
Dabei können Produktfunktionen auch umgedeutet und für die eigenen Zwecke abgewandelt werden.
Kryptowährungen wurden als alternatives Zahlungsmittel konzipiert. Quantitativen und qualitativen Umfragen bei uns im Sparkassen Innovation Hub zufolge verwenden immer mehr Kund:innen sie unterdessen als langfristige Geldanlage und zur Diversifizierung ihres Portfolios.
- Confirmation-Phase
„Der hohe Stromverbrauch des Proof-of- Work-Mechanismus (PoW) ist zu rechtfertigen, kommen doch zum Großteil nachhaltige Energieträger zum Einsatz.“ Mit solchen Aussagen suchen Entscheidungsträger:innen in der letzten Phase nach Bestätigung.
Dabei versuchen sie, Informationen zu vermeiden, die ihre Entscheidung infrage stellen und aktiv solche zu suchen, die die Adoption rechtfertigen.
Die zum Teil unversöhnlichen Positionen mit Menschen, die sich in der Descision-Phase gegen die Innovation entschieden haben, überlagern dabei häufig einen konstruktiven Dialog. So zuletzt, Peter Thiel Warren Buffett aufgrund seiner kritischen Einstellung zum Bitcoin einen „soziopathischen Großvater“ nannte. Ironischerweise sind beim von Thiel unterstützte Krypto-Kreditgeber Vauld seit kurzem keine Abhebungen mehr möglich. Der Grund: Geldmangel.
Rosige Zukunftsaussichten – trotz Katerstimmung
Kryptowährungen als Anlageklasse haben in den vergangenen Jahren ein beispielloses Wachstum erlebt. Kryptowährungen haben bis vor Kurzem nicht nur in Bezug auf die Rendite outperformed. Einst von den Finanzaufsichtsbehörden als potenzielle Bedrohung für die Finanzstabilität angesehen, dienen sie heute selbst konservativen institutionellen Anlegern zur Diversifikation ihres Portfolios.
So ist anzunehmen, dass Kryptowährungen bei der Adaptionsrate den kritischen Punkt bereits erreicht haben und sich entsprechend im Markt selbsttätig weiter verbreiten.
Dem Bitcoin, der ältesten, größten und wertvollsten Kryptowährung merkt man seine Pionierrolle allerdings an. Mit seinem Proof-of-Work-Mechanismus ist sie nur begrenzt skalierbar und hat sich in den letzten Jahren einen Ruf als Stromfresser eingebracht. Mittlerweile existieren mit Ethereum, Cardano, Solana und andere Währungen, die auf einen effizienten Mechanismus setzen.
Ob der Bitcoin trotz aktueller Kurskrise als Kryptowährung Zukunft hat oder von anderen Coins abgelöst wird, hängt davon ab, ob und wie Bitcoin diese Herausforderungen bewältigen kann.
Aber wie die Zukunft einzelner Währungen auch aussehen mag, tokenisierte Assets werden erhalten bleiben. Und die DLT als zugrunde liegende Technologie ist aus der zukünftigen Gestaltung unseres Finanzsystems nicht mehr wegzudenken.
Dieser Beitrag wurde zuerst im Magazin GOLDILOCKS vom Sparkassen Innovation Hub und dem Fintech Newsletter finletter veröffentlicht. GOLDILOCKS gibt es kostenlos als App im Google Play Store und im App Store von Apple.
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