Nach wie vor gewinnt man in punkto Digitalisierung den Eindruck, ein Ruck müsse durch die Immobilienbranche gehen. Aus der sachten Strömung ist noch keine starke Digitalisierungswelle geworden. Seit geraumer Zeit ist zwar ein kontinuierlicher Anstieg der PropTech-Unternehmen im deutschen Markt zu verzeichnen. Entsprechend groß fällt die Anzahl der angebotenen Einzellösungen aus. Die daraus resultierende Kleinteiligkeit stößt aber in der immobilienwirtschaftlichen Fachöffentlichkeit auf Kritik, führt sie doch zu einer zunehmenden Intransparenz und Komplexitäts-steigerung des Marktes. Ein PropTech Unicorn ist noch nicht in Sicht.
Viel ist geschrieben worden über die Einschätzung der etablierten Immobilienwirtschaft hinsichtlich ihrer eigenen Digitalisierungsbestrebungen. Wie und wo welche Technologie „hip“ wird und wie man sie einsetzen möchte – das ist aus Sicht der Nachfrager nach PropTech-Lösungen bekannt. Höchste Zeit, endlich die Sicht der Start Ups, Pioniere und Grown Ups aus der Tech-Welt, die meist von außen auf die Branche schauen, stärker ins Blickfeld zu rücken.
Gemeinsam mit blackprint Booster und brickalize hat die Technische Hochschule Aschaffenburg zum ersten Mal PropTechs befragt, wie sie die Schnittstelle und die Zusammenarbeit mit der etablierten Immobilienbranche erleben.
In einer explorativen Studie führten die Autoren im Coronasommer 2020 neun Tiefeninterviews, deren Auswertung in der ersten PropTech Germany 2020 Studie im Oktober 2020 veröffentlicht wurde.
Wie ist die Marktwahrnehmung und Stimmung der PropTechs? Welchen Herausforderungen stehen die jungen Gründer, aber auch die schon etablierteren PropTechs, täglich gegenüber? Was kennzeichnet den Kunden Immobilienwirtschaft aus Sicht des Anbieters?
PropTech Definition und Cluster
Technologiebasierte Lösungsansätze für neue und bestehende Herausforderungen innerhalb der integrativ zu betrachtenden Bau- und Immobilienwirtschaft bzw. mit Bezug zu den Immobilienlebenszyklusphasen Neu- und Bestands-Entwicklung, Planung, Bau, Vermarktung, Betreibung und Finanzierung von Bauwerken (des Hoch- und Tiefbaus) lassen sich unter dem Begriff Property Technology, kurz PropTech zusammenfassen. Die in diesem Bereich tätigen Startups, auch PropTech-Unternehmen genannt, entwickeln, initiieren und setzen neue Produkte und Dienstleistung um, die bestehende Prozesse oder Geschäftsmodelle optimieren oder diese disruptieren.
Die dieser PropTech Definition zuordenbaren Teilnehmer der Studie verteilen sich zu gleichen Teilen auf:
– deutsche, bereits im Markt etablierte PropTech-Unternehmen (Grown-Ups),
– deutsche PropTech-Start-ups, die sich in der Etablierungsphase befinden (Early-Stager), und
– ausländische PropTech-Unternehmen (Conquerer), die den Markteintritt nach Deutschland planen oder bereits vollzogen haben.
Aufgrund der schweren Vergleichbarkeit der PropTech-Unternehmen in Bezug auf Technologie, Geschäftsmodell und Zielgruppe, wurde von einer Unterteilung nach Gründungsjahren und anderen harten Faktoren abgesehen.
Die (potenziellen) Kunden der PropTech-Unternehmen, die etablierten Immobilienunternehmen, werden in dieser Studie als „Establishment“ bezeichnet.
Marktwahrnehmung und Stimmung im PropTech Markt
Abb. 1 (geschäftsbezogener Stimmungsindikator), die aufzeigt, wie die aktuelle Einschätzung der Marktteilnehmer hinsichtlich Kundenakquise und Neugeschäft ist, dokumentiert eine ausgeglichene Geschäftssituation mit positiver Tendenz zu mehr Neugeschäften. Die PropTech-Unternehmen berichten überwiegend von einer steigenden Aktivität und Aufgeschlossenheit im Establishment, die insbesondere im Zuge der andauernden COVID-19-Pandemie vermehrt das offene Gespräch sucht. Allerdings berichten insbesondere Early Stager auch von der mangelnden Risikobereitschaft des Establishments, welches über den reinen Informationsaustausch hinaus nur wenig Investitionen tätigen oder zunächst keine Verträge abschließen möchte. Insgesamt berichtet ein Großteil der Befragten von einer deutlichen Zunahme an Akquise-Gesprächen – ob diese jedoch final in Abschlüssen münden, ist ungewiss. Dennoch wird der aktuellen Geschäfts- und Umsatzentwicklung ein allgemein positiver Trend zugeschrieben. Somit wird auch die Coronapandemie selbst zumindest im Sommer 2020 nicht als wesentliche Hürde in der Geschäftsentwicklung betrachtet (56% der Teilnehmer).
Aufbau des PropTech Geschäftsmodells
Aus den Interviews ergibt sich, dass der Aufbau eines Geschäftsmodells in der PropTech-Szene ein iteratives Unterfangen darstellt, da die heterogenitätsbedingt schwer zu erfassenden Branchenbedürfnisse ein stetiges Ausprobieren und Anpassen („trial and error“) der Lösungen am Markt bedingen. Die Befragten unterstreichen die Relevanz immobilienwirtschaftlicher Expertise und des damit einhergehenden Verständnisses für kundenspezifische Wertschöpfungsprozesse. Immobilienwirtschaftliche Kenntnisse haben also einen ebenso existenziellen Stellenwert für das Geschäftsmodell wie die technologische Fachkenntnis.
Hürden der Digitalisierung für die Branche
Die Ergebnisse der Befragung dokumentieren: Die größte Hürde beim Aufbau des Geschäftsmodells für PropTech-Unternehmen liegt in dem Zugang zu und der Auswertung von Daten. Ursächlich hierfür ist nach Einschätzung der Befragten die in der Immobilienwirtschaft immanente Intransparenz. Diese bezieht sich zum einen auf nicht verfügbare regionale und sektorale Immobilienmarktdaten. Zum anderen wird hier die oftmals geringe Immobiliendatenverfügbarkeit in den Eigentümerunternehmen selbst thematisiert. Verstärkend stellt der Datenschutz eine enorme Hürde dar, da PropTech-Unternehmen im Zuge der Zusammenarbeit mit dem Establishment oft auf Daten anderer Anbieter oder Dritter angewiesen sind. Erschwert wird dieser Umstand durch die im Zuge der im Mai 2018 in Kraft getretenen DSGVO zusätzlich, da Daten laut Aussage der Befragten nun noch seltener in den Umlauf gebracht werden. Aber auch die Auswertung von unstrukturierten Daten und die oft kundenseitig vorherrschende mangelnde Datenqualität stellt PropTech-Unternehmen vor große Herausforderungen im Zuge der Etablierung ihrer Geschäftsmodelle.
Clusterspezifische Betrachtung der Stimmung, Hürden, und Kooperation
Die folgende Tabelle bietet eine themenübergreifende Zusammenfassung der clusterspezifischen Aussagen und Unterschiede aus den Interviewergebnissen.
Fazit
Um ein Fazit zum aktuellen Status Quo des deutschen PropTech Marktes zu ziehen, lassen sich die folgenden wesentlichen Erkenntnisse aus dieser Studie gewinnen:
- Stimmungsindikatoren: Markt und Geschäftsentwicklung – wie entwickelt sich die Auftragslage?
Die befragten PropTech-Unternehmen sehen in der deutschen Immobilienmarktentwicklung mehr Chancen auf gute Geschäftsentwicklung und Kooperationsbereitschaft des Establishments als Barrieren. Die COVID-19-Pandemie birgt Chancen für das eigene Geschäftsmodell, da insbesondere die Immobilienbranche eine Sensibilisierung für die Nützlichkeit und Notwendigkeit digitaler Innovationen erfahren hat.
- Von der Idee bis zum Business Modell – worauf kommt es an?
Um Branchenbedürfnisse zielgerecht adressieren zu können, bedarf es eines umfassenden Verständnisses für die oftmals komplexe und heterogene immobilienwirtschaftliche Wertschöpfungs-kette. Da viele PropTech-Unternehmen im Wesentlichen als IT-getriebene Geschäftsmodelle in den Markt eintreten, raten die Interviewpartner, Branchenexpertise, falls nicht vorhanden, extern einzuholen.
- Hürden beim Markteintritt in die deutsche Immobilienwirtschaft
Die größte Hürde beim Aufbau des Geschäftsmodells für PropTech-Unternehmen liegt in dem Zugang zu und der Auswertung von Daten. Die mangelnde Datenverfügbarkeit zieht sich aktuell wie ein roter Faden durch viele Diskussionen rund um die Effizienz und Durchsetzungskraft von PropTech Lösungen im deutschen Markt. Weitere Hürden werden vor allem in der heterogen aufgestellten Immobilienwirtschaft gesehen, was im engen Zusammenhang mit dem proptechseitig notwendigen Verständnis des Geschäftsmodells des Kunden steht.
- Kooperationen im PropTech-Markt: Anbieter- und kundenseitig – wo liegt die Zukunft?
Die Kooperationsintensität im deutschen PropTech Markt nimmt technisch und vertriebsseitig grundsätzlich zu, wobei Early Stager sich diesbzgl. noch schwerer tun als Grown Ups und Conquerers, die z.T. nur mittels anbieterseitiger Produkt-Kooperationen in den Markt eintreten können. Kundenseitig wird dies auch zunehmend gefordert.
Bei den Conquerers reift die Erkenntnis, dass sich Produkte nicht passgenau und skalierbar auf andere Immobilienmärkte übertragen lassen.
Der Marktzugang wird grundsätzlich mit einem bestehenden Netzwerk in die Immobilienwirtschaft deutlich erleichtert. Branchenfremde Early Stager haben oft eher Schwierigkeiten, ihr Produkt im Markt zu etablieren. Verantwortlichkeiten im Establishment, die Rollen verschiedener Entscheidungsträger und die Notwendigkeit aufzubauenden Vertrauens sind weitere Hemmnisse, die es insbesondere in frühen Phasen der Geschäftstätigkeit, aber auch als Conquerer zu überwinden gilt.
Die Autoren vermuten, dass der Rolle eines Chief Digital Officers (CDO) als Schlüsselposition und Schnittstelle zwischen Kunde (Establishment) und PropTech kurz- bis mittelfristig eine steigende Bedeutung zukommt – wenn dieser im Establishment mit ausreichend Entscheidungskompetenz ausgestattet wird.
Ausblickend soll diese erste explorative, qualitative Erhebung mittels empirischer Studie validiert werden. Deren Ergebnisse werden bereits im März 2021 vorliegen. Darüber hinaus ist eine Befragung des Establishments im Spiegel dieser Studie geplant.
Quellen
blackprint Booster (2020): PropTech Definition, unternehmensinterne Quelle.
TH Aschaffenburg/blackprint Booster/brickalize (2020): PropTech Germany 2020 Studie, https://www.iiwm.de/wp-content/uploads/2020/10/PropTech-Germany-2020-Studie.pdf.
Dieser Gastbeitrag stammt von Prof. Dr. Verena Rock vom IIWM Institut für Immobilienwirtschaft und -management der Technischen Hochschule Aschaffenburg.