Stellen Sie sich vor, Sie setzen eine Brille auf und können binnen weniger Sekunden fliegen. Sie befinden sich in einem Flugzeug und sehen die Abendröte am Horizont, Wolken wie Wattebällchen und über den Erdboden erstreckt sich eine dunkelblaue Wassermasse. Für viele ist dies eine wundervolle Vorstellung, für andere jedoch ein Albtraum. Das faszinierende an der Brille: Wird sie abgesetzt, sind Sie augenblicklich wieder in einem gewohnten Umfeld. Die Virtual-Reality-Technologie, kurz VR, macht solch spielerisch wechselnde Welten möglich. Bekannt ist sie aus der Gaming-Industrie. Zunehmend findet die Erschaffung solcher Parallelwelten aber auch in psychotherapeutischen Behandlungen Verwendung, insbesondere bei der Bekämpfung von Ängsten wie der Aviophobie, der Flugangst.
Virtuelle Konfrontationstherapie
15 Prozent der Deutschen leiden im Laufe ihres Lebens unter einer Phobie. Dabei empfinden sie Angst vor allerlei Dingen, Lebewesen und Umgebungen – in geschlossenen Räumen, vor Höhen und Tiefen, vor Spinnen, teils sogar vor Menschen. Konfrontationstherapien sollen Betroffenen dabei helfen, ihre Ängste wieder zu verlernen, denn tatsächlich sind sie ein anerzogenes Verhalten, das von „Vorbildern“ übernommen wurde. Aber auch traumatische Erlebnisse können Auslöser einer phobischen Störung sein. Bislang war die konfrontative Art der Therapie jedoch zu teuer beziehungsweise zu aufwendig. Die VR-Technologie ermöglicht es Betroffenen nun, in eine computergenerierte Umgebung einzutauchen, die sie als real empfinden und in der sie sich interaktiv bewegen können.
Der Vorteil der VR-Therapie liegt in ihrer Vielfältigkeit. Statt ihre Patientinnen und Patienten im realen Leben in ein Flugzeug zu begleiten, können Psychologen durch die VR-Technologie jegliche Kulissen aus dem Computerprogramm auswählen und die Betroffenen überall hin „beamen“. Abgesehen von der einfachen Umsetzung ist diese Methode vor allem sicherer. Schließlich können Ängste Reaktionen hervorrufen, die nicht vorhersehbar sind und daher teils schwer zu kontrollieren.
Schmerztherapie – völlig unverfroren
Bisher wird die konfrontative VR-Therapie vor allem bei Angststörungen angewandt. Jedoch kann sie auch bei anderen psychischen Störungen zur Heilung beitragen, wie bei Suchttherapien. Alkoholabhängige können beispielsweise in einer virtuellen Bar erlernen, ihrer Sucht zu widerstehen, ohne tatsächlich in Versuchung zu geraten. Wissenschaftler in den USA haben die VR-Technologie auch im Bereich der Schmerztherapie erprobt: Sie versetzten US-Soldaten mit Brandwunden in eine Eis-Welt, in der sie durch Schneegestöber liefen und Pinguine beobachten konnten. Die Soldaten nahmen die Kälte in der virtuellen Welt körperlich wahr und waren derart abgelenkt, dass sie in der realen Welt den Verbandswechsel als weniger schmerzhaft empfanden.
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