Mit wachsender Weltbevölkerung und technologischem Fortschritt in allen Bereichen des Lebens wächst der weltweite Energieverbrauch. Laut der U.S. Energy Information Administration (eia) steigt der Primärenergieverbrauch zwischen 2020 und 2050 um 47 Prozent. Die Kapazitäten zur Energiegewinnung hochzufahren und gleichzeitig aus der Kohleenergie auszusteigen wird zur Herausforderung. Kreative Lösungen sind gesucht. Eine davon erhält aufgrund positiver Machbarkeitsstudien neuen Schwung: Solarenergie aus dem Weltall.
Solarenergie – der König der Elektrizität
Die International Energy Agency beschreibt in ihrem World Energy Outlook 2020 Solarenergie als den „König der Elektrizität“. Hier sind die Kosten in den letzten Jahren stark gesunken und so gering wie bei kaum einer anderen Form der Energiegewinnung. Doch die unzuverlässige Einstrahlung der Sonne stellt ein Problem dar. Die Idee einiger Forscher: Satelliten werden mit riesigen Solarpanelen ausgestattet und die gewonnene Solarenergie wird über hochfrequente Funkwellen auf die Erde transportiert. Der große Vorteil ist, dass die Sonne nicht durch Wolken verdeckt wird und dem Tag-Nacht-Rhythmus unterliegt, sondern für 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr scheint. Doch nicht nur die Konstanz ist höher, auch die tatsächliche Energiegewinnung. Im Unterschied zum Einsatz auf der Erdoberfläche werden die Solarzellen oberhalb der Atmosphäre die Erde umkreisen, wo die Sonneneinstrahlung stärker ist. Das Potenzial zur Energiegewinnung ist um das Achtfache höher als auf der Erde.
Die Umsetzbarkeit des Projektes wird von zwei Machbarkeitsanalysen bestätigt, die von der Europäische Weltraumorganisation (esa) in Auftrag gegeben wurden. Das Unternehmen Frazer-Nash sieht großes Potenzial und schätzt, dass ab 2050 jährlich 800 Terawattstunden Energie gewonnen werden könnten. Das entspricht einem Drittel der Stromerzeugung der Europäischen Union im Jahr 2020. Die esa möchte ihren Mitgliedern jetzt das Projekt „Solaris“ vorschlagen und die technische Umsetzung prüfen und angehen. Frazer-Nash schätzt die Gesamtkosten bis 2070 auf 418 Milliarden Euro, die jedoch von den finanziellen Vorteilen in Höhe von 601 Milliarden Euro übertroffen werden. Zusätzlich wäre die EU damit in der Lage, ihre energetische Abhängigkeit vom Ausland zu beenden. Doch Europa ist nicht allein und auch nicht führend in diesem Bereich tätig. Großbritannien zum Beispiel hat bereits im Frühjahr dieses Jahres angekündigt, 19 Milliarden Euro in eine Solarstation im Weltall zu investieren. In den USA erzielten Wissenschaftler am California Institute of Technology wichtige Erfolge bei der Entwicklung einer ultraleichten Solarzelle und der weltweit größte Hersteller von Solaranlagen, Longi Green Energy aus China, plant in den kommenden Jahren die Entsendung erster Module ins Weltall.
Vorhaben mit Risiko – Innovationen notwendig
Auch wenn die internationalen Bestrebungen, Solarenergie aus dem Weltall zu gewinnen, stark ausgeprägt sind, steht der tatsächliche Erfolg der Mission noch in den Sternen. Neben dem hohen finanziellen und organisatorischen Aufwand fehlen technologische Innovationen zur Umsetzung und es gibt Risiken. Die im Solaris-Projekt angedachte Solaranlage soll ein bis zwei Gigawatt Strom produzieren, dazu müsste sie eine Größe von 15 Quadratkilometern besitzen. Um die gewaltigen Materialmengen in die Erdumlaufbahn zu bringen, ist eine wiederverwendbare Schwerlastrakete notwendig. Hier sind die USA, wo SpaceX mit dem „Starship“ ein solches Transportmittel entwickelt, den Europäern voraus. In Europa hat die EU-Kommission erst im Juli 2022 den Auftrag erteilt die vertikale Landung einer Raketenstufe zu testen. Das Projekt mit dem Codenamen „SALTO“ soll in den nächsten zwei Jahren erste Ergebnisse liefern.
Auch die Energieübertragung auf die Erde ist eine Herausforderung, denn auch Mikrowellen verlieren mit zunehmender Distanz an Stärke. Zudem geht Gefahr von umherfliegendem Weltraumschrott aus, der jährlich drei bis vier Satelliten zerstört. Große Trümmer können noch von der Erde aus verfolgt werden, doch die NASA geht von mindestens 100 Millionen Teilen aus, die so klein sind, dass sie nicht beobachtet werden können. Mit der Zeit steigt das Risiko, vor allem das einer Kettenreaktion. Bei dieser verursachen die Trümmer eines zerstörten Satelliten weitere Schäden. Die hervorgehobene Konsistenz der Energieversorgung könnte gefährdet sein.
Der richtige Weg?
Um einen positiven Beitrag zu den Netto-Null-Zielen zu leisten, müsste die Idee Solarenergie aus dem Weltraum zu gewinnen bis Ende der 2030er Jahre einsetzbar sein. Ein enges Zeitfenster, da Fachleute von Roland Berger nicht vor 2035 von einem Einsatz ausgehen. Auch ist die Gefahr der Beschädigung durch Weltraumschrott nicht auszuschließen und damit ein großflächiger Blackout auf der Erde. Nichtsdestotrotz hat Solarenergie aus dem Weltall das Potenzial, einen Teil unserer Energieversorgung zu übernehmen. Vor allem die Verluste durch den Wegfall kohlenstoffintensiver Energiegewinnung könnten aufgefangen werden. Die Energiewende gleicht mehr einem Marathon als einem Sprint und wie jede andere weitreichende technologische Transformation in der Geschichte zeichnet sie sich auch durch langfristige Ziele aus. Technische Innovationen und internationale Zusammenarbeit sind jedoch maßgeblich für den Erfolg der Initiative verantwortlich.
Quellen:
- Basicthinking: Solarenergie: Erhalten wir bald Strom aus dem Weltraum? (basicthinking.de)
- YouTube: (10) Können wir den Klimawandel noch stoppen? – YouTube
- YouTube: (10) Das Ende der Raumfahrt – Eine tödliche Falle für die Menschheit – YouTube
- mdr: Solaranlagen im Weltall: China, USA, Europa – alle wollen Energie aus dem Orbit holen | MDR.DE
- National Geographic: Gibt es im Weltall bald Solarkraftwerke? | National Geographic
- Cleanthinking: Weltraum-Solar: Forscher schießen Kacheln ins All (cleanthinking.de)
- World Energy Outlook 2020: World Energy Outlook 2020 (windows.net)
- Statista: Globaler Primärenergieverbrauch bis 2050 | Statista
- New Atlas: Caltech’s space solar project prepares for its first orbital prototype (newatlas.com)
- Parabolicarc: ArianeGroup Selected for Two European Commission Calls for Projects to Speed Up the Development of Europe’s First Reusable and Eco-friendly Launchers – Parabolic Arc
- Süddeutsche Zeitung: Raumfahrt – Wiederverwendbare „Ariane“ – Wirtschaft – SZ.de (sueddeutsche.de)
- New Atlas: Caltech’s space solar project prepares for its first orbital prototype (newatlas.com)
Titelbild: aapsky (istock)
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