Kein Zweifel, die Digitalisierung im Gesundheitswesen nimmt Fahrt auf. Das Bundesgesundheitsministerium hat die Chancen der Digitalisierung für das Gesundheitswesen erkannt und zwischen 2019 und 2021 sieben eHealth-fokussierte Gesetze verabschiedet. Ihre Ziele: die Verbesserung der regulatorischen Rahmenbedingungen für die Digitalisierung des Gesundheitswesens hierzulande und die Beschleunigung des Ausbaus der digitalen Infrastruktur. (1) In der Folge wurden u.a. die elektronische Patientenakte, die elektronische Gesundheitskarte, die „App auf Rezept“ oder auch die Videosprechstunde auf den Weg gebracht. (2)
Schwachstelle digitale Kommunikation
Die Akzeptanz und Nutzung dieser Funktionen sind jedoch sehr unterschiedlich, und die Covid 19-Pandemie hat zudem klar gezeigt, woran die Digitalisierung im Gesundheitswesen eigentlich krankt – mangelnde Kommunikationsmöglichkeiten. Wie eine öffentliche Anhörung des Parlamentarischen Begleitgremiums Covid-19-Pandemie im Deutschen Bundestag zeigte, nutzen die Gesundheitsämter nach wie vor in erster Linie Faxgeräte zur Kommunikation und lesen beispielsweise gefaxte Excel-Listen Covid-19-Erkrankter manuell ein. (3)
Erfolgsmodell Videosprechstunde
Der eHealth Monitor 2020 der Unternehmensberatung McKinsey zeigt die Licht- und Schattenseiten der Digitalisierung im Gesundheitswesen. So gibt es auf der einen Seite große Fortschritte bei der Telemedizin. Nicht zuletzt aufgrund von Covid 19 erhöhte sich die Zahl der digitalen Sprechstunden 2020 gegenüber dem Vorjahr um das 900-fache auf fast 2,7 Millionen. Ein Erfolgsmodell sind auch digitale Gesundheitsanwendungen. Hier verdoppelten sich die Downloads der Top-40-Gesundheits-Apps gegenüber dem Vorjahr auf 2,4 Millionen. Der Datenaustausch hingegen bleibt digitale Baustelle: Die Kommunikation zwischen Krankenhäusern und Ärzten erfolgt zu 95 Prozent immer noch in Papierform, und Patienten und Versicherten mangelt es oft an Aufklärung über den Nutzen von eHealth. (4)
Konkrete Fortschritte zeigt der eHealth Monitor bei der digitalen Infrastruktur: Mehr als 90 Prozent der Hausarztpraxen sind nach den jüngsten Erhebungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mittlerweile an die Telematikinfrastruktur angeschlossen. Jüngere niedergelassene Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen unter 50 Jahren sowie mittelgroße bis große Praxen weisen überdurchschnittliche Anschlussraten auf. Bei den ambulanten Ärzt:innen wächst auch das Angebot an digitalen Services (+18 Prozent zum Vorjahr). Allerdings befürchtet mit 46 Prozent nahezu die Hälfte von ihnen, dass sich durch die Digitalisierung die Arzt-Patienten-Beziehung verschlechtern könnte (Vorjahr: 43 Prozent).
Nachholbedarf bei der digitalen Kompetenz
Großen Nachholbedarf zeigt der eHealth Monitor in der Rubrik „digitale Gesundheitskompetenz“: Mehr als jeder zweite Deutsche (55 Prozent) zeigt sich zwar in Umfragen digitalen Gesundheitsangeboten gegenüber aufgeschlossen, doch es fehlt den Befragten eigenen Angaben zufolge an Information und Aufklärung über die digitalen Angebote. Ende 2020 hatten beispielsweise rund 40 Prozent der Versicherten noch nie etwas von der elektronischen Patientenakte gehört, deren erste Ausbaustufe im Januar 2021 an den Start ging. Entsprechend gering ist bislang auch die Resonanz auf das digitale Angebot: Ein halbes Jahr nach ihrer Einführung im Januar haben bei den 20 größten gesetzlichen Krankenversicherungen weniger als 240.000 Versicherte die elektronische Akte heruntergeladen – ein Anteil von nur 0,4 Prozent der Versicherten.
Digitale Gesundheitstechnologien im europäischen Vergleich
Ergänzt man diese Erkenntnisse um Einblicke aus anderen europäischen Ländern, zeigt sich klar, in welchen Punkten Deutschland beim Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen hinterherhinkt. In einer multinationalen Studie befragte die Unternehmensberatung Deloitte 1.800 in der Patientenversorgung tätige Mediziner und Pflegekräfte aus sieben europäischen Ländern zum Stand der digitalen Transformation und zu den Auswirkungen von Covid 19. Allein in Deutschland nahmen 400 Personen aus dem Gesundheitswesen an der Befragung teil. (5)
Fokussiert man sich auf die Ergebnisse für Deutschland, werden digitale Technologien im Medizinbetrieb aktuell vor allem für administrative und planerische Aufgaben eingesetzt. Allem voran steht die digitale Krankenakte, die von drei Viertel der Befragten genutzt wird. Die Technologie erbringt zudem den erwarteten Nutzen: 78 Prozent der Befragten sehen in der digitalen Krankenakte Vorteile für effizientes Arbeiten und eine gute Patientenversorgung. Weitere Technologien, die vielerorts zum Einsatz kommen, sind digitale Dienstpläne (52 Prozent) sowie spezifische Apps für Klinikpersonal (44 Prozent). Beides wird auch mit Blick auf die Versorgung positiv bewertet. Während Deutschland beim Einsatz digitaler Dienstpläne führend in Europa ist, ist die digitale Krankenakte in anderen Ländern, insbesondere Dänemark und den Niederlanden stärker verbreitet als hierzulande.
Deutschland ist Schlusslicht beim Thema Telemedizin
Beim Thema Telemedizin ist Deutschland sogar Schlusslicht. Nur 30 Prozent des medizinischen Personals gibt an, Telemedizin zu nutzen. Einen Vorteil für die Patientenversorgung sehen hier jedoch mehr als doppelt so viele Befragte (64 Prozent). In Ländern wie Dänemark und den Niederlanden nutzen bereits um die 60 Prozent der Befragten diese Technologien erfolgreich zum Patientendialog.
Hürden beim Einsatz digitaler Technologien
Bevor neue Technologien eingeführt werden, sind im deutschen Gesundheitssystem vor allem organisatorische Hürden zu überwinden. Das medizinische Personal sieht sich konfrontiert mit Bürokratie (61 Prozent), hohen Kosten (57 Prozent) und Schwierigkeiten, die passende Technologie zu finden (42 Prozent). Zudem fühlen sich viele Befragte noch zu wenig in digitale Strategien eingebunden. Sie finden auch, dass der Arbeitgeber noch nicht gut auf den Einsatz der Technologien vorbereitet ist. Mit 46 Prozent gibt fast die Hälfte der Befragten an, noch nicht genügend Unterstützung bei der Anwendung der Technologien zu erhalten.
Zukunftsprogramm Krankenhäuser
Bis zur vollkommen digitalisierten medizinischen Organisation ist es aus Sicht vieler Befragter noch ein längerer Weg. Maximal fünf Jahre wird es nach Einschätzung von mehr als der Hälfte der Befragten (54 Prozent) noch dauern. Viele geben an, dass der Zeithorizont eher bei 8 bis 10 Jahren liegen wird (38 Prozent). Das vier Milliarden Euro schwere Investitionsprogramm von Bund und Ländern im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes dürfte jedoch in deutschen Krankenhäusern als Digitalisierungsbeschleuniger wirken.
Fazit: Die Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems ist in vollem Gange. Die Covid 19-Pandemie wirkt bei Themen wie der Videosprechstunde sogar als Beschleuniger, zeigt aber auch an anderen Stellen, insbesondere bei der digitalen Kommunikation zwischen den Akteuren im Gesundheitssystem gnadenlos die Schwachstellen auf. Bis zu einer vollständigen Ausschöpfung aller digitalen Möglichkeiten zum Wohle des Patienten dürften somit noch einige Jahre vergehen.
Quellen:
- https://www.bundesgesundheitsministerium.de/e-health-initiative.html
- https://gesund.bund.de/digitalisierung-im-gesundheitswesen#einleitung
- https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw28-pa-pandemie-digitalisierung-851226
- https://www.mckinsey.de/news/presse/2021-11-18-ehealth-monitor-2021
- https://www2.deloitte.com/de/de/pages/life-sciences-and-healthcare/articles/digitalisierung-des-gesundheitswesens.html
Weitere Informationen zum Thema Digitalisierung gibt es hier.