Es gibt Anekdoten aus der Geschäftswelt, die nach einer Zeitmaschine schreien. Die von Goldman Sachs und Alibaba ist so eine: Im Jahr 1999 investierte Goldman-Managerin Shirley Lin drei Millionen US-Dollar in das damals kleine chinesische Start-up Alibaba. Fünf Jahre später wurden diese Anteile für 22 Millionen Dollar verkauft – an sich ein sehr guter Return on Invest, wäre Alibaba nicht zu dem chinesischen Tech Giant schlechthin geworden. Eben diese Anteile wären heute mehr als 200 Milliarden (!) US-Dollar wert und damit fast doppelt so viel wie die Bank selbst. Gleich zwei Fehler hat Goldman Sachs gemacht: Der erste war, dass Lin – weil es ihre Kollegen so wollten – nicht mehr investierte. Und der zweite war, zu früh ausgestiegen zu sein.
Nun haben wir leider keine Bauanleitung für eine Zeitmaschine und die Titelgeschichte dieser GOLDILOCKS-Ausgabe soll auch kein Jammer-Manifest der verpassten Investment-Gelegenheiten sein. In dieser Ausgabe geht es um die wahnsinnige Marktmacht der Tech Giants und wie diese sich auf den Finanzmarkt auswirkt. Es geht darum, dass es rund um die Jahrtausendwende noch „okay“ war, die wirtschaftlichen Chancen eines aufstrebenden Tech-Unternehmens nicht zu verstehen. Damit kann sich heute keine Bank mehr herausreden. Finanzinstitute können nicht einfach die Augen vor der Marktmacht der Tech Giants verschließen, wenn sie ihre Kundschaft halten wollen.
Aber von vorne…
Tech Giants sind diejenigen Technologie-Großkonzerne, die unser Online-Erleben maßgeblich bestimmen. Die chinesischen sind dabei in Deutschland und der EU weniger relevant; GAFA heißt das Wort der Stunde: Google, Amazon, Facebook, Apple. Sie produzieren einen Großteil unserer Smartphones und Tablets, stellen E-Mail, Fernsehen und Musik für uns bereit, sie managen unsere Daten in Cloud-Speichern und sozialen Netzwerken. Aber sie sind eben auch längst im Bereich Financial Services tätig: Amazon bietet eine eigene Kreditkarte, die das Shopping-Erlebnis verbessern soll, nach Google Pay soll in diesem Jahr mit Google Plex eine eigene Kontenoberfläche kommen und Gerüchten zufolge plant Apple nach seiner Kreditkarte auch ein eigenes Girokonto.
Eigene Vollbanklizenzen haben sie dafür nicht, sondern arbeiten stets mit Partnern. Googles Payment-Vize Felix Lin bekräftigte das kürzlich in einem Interview mit „The Financial Brand“: „Google hat kein Interesse daran, jemals eine Bank zu werden. Wir arbeiten seit vielen vielen Jahren mit Banken und werden das weiter tun auf eine Art und Weise, die es unseren Partnern ermöglicht, ihre Finanzdienstleistungen und Produkte auf dem geeignetsten Weg so vielen Nutzern wie möglich anzubieten.“
Keiner der Tech Giants bietet aktuell Finanzdienstleistungen an, weil so viel Prestige und Geld im Finanzsektor zu holen sind, sondern vor allem aus einem Grund: um ihre Nutzer:innen länger in ihrem jeweiligen Ökosystem zu behalten. Vorhandene Netzwerk- und Lock-in-Effekte werden gestärkt, neue geschaffen.
Google und Apple beispielsweise machen mit ihren mobilen Bezahlmöglichkeiten Google Pay und Apple Pay den Wechsel von einem Betriebssystem zum anderen noch schwieriger als ohnehin schon. Natürlich bleibt bei beiden zum Beispiel für Transaktionen in Google bzw. Apple Pay auch eine Gebühr hängen, aber vor allem profitieren sie vom Lock-in-Effekt: Wer sich einmal an eine Seite bindet, kommt schwer wieder los – und je mehr Finanzdienstleistungen beide den Verbraucher:innen anbieten, desto mehr ist Google respektive Apple verwoben mit dem Alltag einer Person.
Die Nachteile lagern Google und Apple einfach auf Partner aus: Sie nutzen die Systeme der Kreditkartenanbieter und der Kreditkarten herausgebenden Banken. Ein großer Teil dieser Wertschöpfungskette, des Financial Engineerings, liegt also gar nicht bei Google oder Apple. Selbst wenn dieses Jahr Google Plex startet, ist dies dem derzeitigen Wissensstand zufolge kein eigenes Google-Konto, sondern eher eine Gmail-artige Oberfläche für Plex-Konten von Partnerbanken.
Wie Felix Lin von Google schon sagte: Wir wollen keine Bank werden – oder auch: Das sind uns viel zu viele regulatorische Anforderungen –, aber Banken sollen ihre Produkte auf dem besten Weg anbieten können – oder auch: Wir haben ein Händchen für Oberflächen, auf denen Nutzer:innen sich auch wirklich zurechtfinden. Und da sind die Unsummen an Geldern, die Banken und Sparkassen in Google-Werbung pumpen, noch gar nicht berücksichtigt. Die Tech Giants verdienen über Werbung oder Cloud-Dienste (Amazon Web Services und Co.) längst an der Finanzbranche, ohne dass sie die mit einer Banklizenz verbundenen Risiken auf sich nehmen; eine damit verbundene Abwertung an der Börse. Und grundsätzlich ist Banking ein so niedrig-margiges Geschäft, weshalb andere Bereiche – zum Beispiel Audio- oder Video-Content – für die GAFAs viel attraktiver sind, aufgrund von Skalierbarkeit und globalen Netzwerkeffekten.
Warum Amazon besser Kredite vergibt
Auch Amazon ist ein enorm umfangreiches, verwobenes Ökosystem mit Netzwerkeffekten, Marktplatzgeschäftsmodell und Lock-in-Effekten. Amazon konzentriert sich bei seinem Vorstoß ins Banking deutlicher auf die Dienstleistungen, die das Kerngeschäft – den Handel – stärken. Der Tech Giant vergibt Warenkredite an seine Händler:innen und kann dies sehr viel präziser als eine Bank, denn er hat Einblicke in Daten, die Banken und Sparkassen gar nicht haben. Amazon weiß genau, wie gut eine Händlerin verkauft oder wie viel Ware sie auf Lager hat. Selbst wenn diese Händlerin Kundin der Sparkasse wäre, könnte diese auf Basis des Jahresabschlusses die Kreditwürdigkeit nicht annähernd so gut beurteilen wie Amazon, geschweige denn in Echtzeit.
Obendrein muss Amazon mit den Krediten kein Geld verdienen – die Banken und Sparkassen aber schon, was zu einer unfairen Situation auf dem Markt führt. Die Sparkassen und Banken werden hier von einem Internetriesen angegriffen, der nicht nur die besseren Voraussetzungen hat, sondern mit dieser Dienstleistung nicht mal Geld verdienen muss.
Das Konto wird zur Commodity
Es ist gut möglich, dass die GAFAs ihre Finanzdienstleistungen derart gut machen werden, dass sie sie nach einigen Jahren auch als eigenständiges Produkt anbieten – so wie Amazon beispielsweise sein Cloud-Hosting. Es kann sein, dass ein Konto von Apple so benutzerfreundlich gemacht wird, dass es den Standard setzt. Oder dass Google Plex’ Analysen so gut sein werden, dass wir von Google endlich die automatisierte Finanzberatung mit künstlicher Intelligenz bekommen können, von der die Fintech-Branche schon seit Jahren fantasiert.
Die bittere Wahrheit an dieser Stelle ist, dass die Finanzdienstleistungen – in erster Linie das Anbieten eines Girokontos – zur Commodity werden. Austauschbar. In ihrem Versuch, ihre Nutzer:innen noch stärker an das eigene Ökosystem zu binden, schaffen Google und Apple jetzt schon Dienstleistungen, Produkte und Oberflächen, die denen der traditionellen Finanzdienstleister um Lichtjahre voraus sind.
Was können die Banken und Sparkassen tun?
Nun gibt es auch heute durchaus noch die Gelegenheit, sich am nächsten Alibaba oder Google zu beteiligen, an dem kleinen Garagen-Start-up, das irgendwann ein Tech Giant werden könnte. Schon in der vergangenen GOLDILOCKS-Ausgabe war das ein Thema: antizipieren, wo wahre Innovationen warten, und sich dann daran beteiligen, wenn man als Institut selbst nicht dazu in der Lage ist.
Doch für Banken und Sparkassen kann dies nur ein Teil der Strategie sein, um gegen die Marktmacht der GAFAs anzugehen. Sie können – und sollten? – sich auch an der vorhandenen GAFA-Gegenbewegung beteiligen: Die US-amerikanischen Tech Giants haben so eine enorme Marktmacht, dass sie entsprechend reguliert werden müssen; das scheint in Europa inzwischen weitgehend Konsens zu sein. Denn ihre Marktmacht führt zu Ineffizienzen auf dem Markt, z.B. dass Google außerordentlich viel Geld verdient, weil man nirgendwo anders mehr Werbung schalten kann. Gemeinsam haben die deutschen Banken und andere schon erfolgreich durchgesetzt, dass Apple seine NFC-Schnittstelle öffnen muss. Und wenn man sich mal anschaut, dass Europas Banken aufgrund der PSD2 ihre Schnittstellen öffnen mussten, wäre es eine logische Konsequenz, auch die Tech Giants gesetzlich dazu zubringen, ihre Schnittstellen ebenfalls zu öffnen.
Mehr als eine Bank sein
Vor allem aber müssen Banken und Sparkassen lernen, wie Tech Giants zu denken. Sie müssen ja nicht gleich selbst zu Technologie-Konzernen werden wie die ehemalige Sber Bank; die baut sich nämlich tatsächlich mit sehr viel Kapital zum eCommerce-Ökosystem um und hat sogar das „Bank“ aus ihrem Namen gestrichen.
Sparkassen und Banken müssen aber erkennen, wo ihre tatsächlichen Stärken liegen und entsprechend handeln. Je austauschbarer die Kernleistungen einer Bank werden und je mehr Dienste wie Apple oder Google Pay in den Alltag vordringen, desto mehr wird ihre Rolle im Leben der Verbraucher:innen geschwächt. Keiner deutschen Bank oder Sparkasse wird es gelingen, auf technologischer Ebene mit Apple mitzuhalten oder so gut mit riesigen Datenmengen umzugehen wie Google. Was sie aber machen können, ist, sich von den Tech Giants die beste Technologie einzukaufen und dann mit dem zu punkten, was sie richtig gut können.
Für Sparkassen bedeutet das: durch Kooperationen mit den Tech Giants für ein Level Playing Field sorgen, die eigene Stärke ausspielen und damit verdammt gute Produkte bauen. Die werden dann besser, als die Tech Giants es alleine schaffen könnten.
Dieser Plan ist jetzt innerhalb von drei Sekunden gesagt – wenn man ihn innerhalb von drei Jahren umsetzen könnte, wäre das schon eine hohe Geschwindigkeit. Es stecken zwei entscheidende Fragen darin:
- Was sind eigentlich unsere Stärken? Die gilt es unter neuen Marktbedingungen zu definieren und in Relation zu den anderen Marktteilnehmern. Die Stärken der Sparkassen sind heute andere als vor 20 Jahren und sie werden in Zukunft andere sein als heute.
- Wie bauen wir eigentlich Produkte, so dass es schnell geht, sie gut sind und bei den Kund:innen ankommen?
Zwei Stärken liegen auf der Hand: zum einen Vertrauen, das die Sparkassen noch haben. Das Vertrauen in die Sparkasse wurde quasi vererbt, doch ein Ende dieses Effektes ist absehbar.
Und die zweite Stärke ist jetzt, Achtung, der erste Cliffhanger in der Geschichte von GOLDILOCKS, denn dabei handelt es sich um Regionalität. Und das wird das Thema der nächsten Ausgabe, die zu den Sparkassen Innovation Days 04 am 26. und 27. Oktober 2021 erscheinen wird.
Dieser Beitrag wurde zuerst im Magazin GOLDILOCKS vom Sparkassen Innovation Hub und dem Fintech Newsletter finletter veröffentlicht. Autoren des Beitrags sind Carolin Beese und Clas Beese. GOLDILOCKS gibt es kostenlos als App im Google Play Store und im App Store von Apple.
Titelbild: ©undefined (istock)