Tobias Baumgarten ist bereits seit vielen Jahren in der Banking- und FinTech-Szene unterwegs. Er beobachtet, analysiert und kommentiert neue Trends und Entwicklungen, u.a. als Blogger und Speaker. Wir haben Tobias zum Interview getroffen, um mehr über ihn, seinen Werdegang und seine Leidenschaft für Finanz- und Digitalisierungsthemen zu erfahren.
Tobias, auf deinem Blog about#fintech beschäftigst du dich intensiv mit den Themen FinTech, Payment und Digital Banking. Woher kommt die besondere Leidenschaft für genau diese Themen?
Die Begeisterung für Technik stammt schon aus meiner Kindheit, beginnend mit GameBoy und NES. Mit 12 Jahren habe ich mit einem Schulfreund am ausrangierten 286er seines Vaters unter DOS mit QBasic programmiert und später mein komplettes Konfirmationsgeld für den ersten eigenen Rechner auf den Kopf gehauen: einen Pentium 60 mit Soundkarte und 2x CD-ROM-Laufwerk für 2.800 D-Mark. Eigentlich der Beginn einer typischen Nerd-Karriere mit LAN-Parties am Wochenende, Internet-AG und Informatik-Prüfungskurs in der Schule und ständig blockierten Telefonleitungen durch das 56k-Modem.
Nach dem Abi habe ich mich dann aber erstmal für eine Banklehre entschieden und bin damit vom Informatikstudium abgekommen. Als Banker mit Technik-Faible lag es dann allerdings nahe, sich für digitale Bankthemen zu begeistern. Und das FinTech & Co. was richtig großes werden würde, war mir spätestens klar, als ich als Kreditanalyst im Firmenkundengeschäft immer häufiger den Posten „PayPal-Gebühren“ in den auszuwertenden Firmenbilanzen gelesen habe. Deshalb folgte dann in 2015 der Wechsel in den „Digitalen Vertrieb“ der Haspa und zeitgleich mein Blog „about#Fintech“.
Du bist ausgebildeter Bankkaufmann, studierter Betriebswirt und arbeitest aktuell bei der Hamburger Sparkasse. Du bist somit tief verwurzelt im Finanzbereich. Wie hat sich die Branche in den letzten Jahren verändert, insbesondere auch vor dem Hintergrund der Digitalisierung.
Einerseits hat sie sich massiv verändert, andererseits nicht massiv genug. Dummerweise fiel die digitale Disruption ausgerechnet in die Zeit der Finanzkrise. Da war die Aufmerksamkeit der Entscheider in den Vorstandsetagen in fast allen Banken komplett auf akute Überlebenssicherung gelenkt. Das ist nachvollziehbar und war notwendig, aber leider nicht ausreichend. Die Banken haben dadurch wertvolle Zeit verloren, die Digitale Transformation aktiv mitzugestalten. Sie sind dadurch zu Getriebenen geworden.
Viel zu spät haben viele Top-Entscheider realisiert, dass die Digitalisierung nicht mehr weg gehen und gleichzeitig massive Auswirkungen auf die Kundenerwartungen haben wird. Die Benchmark für Kundenerwartungen setzten plötzlich nicht mehr innovative andere Banken, sondern Plattformen wie Amazon, Spotify oder Netflix. Und nicht wenige Entscheider trauern immer noch mehr den guten alten Zeiten hinterher, anstatt die neue Realität anzunehmen und mitzugestalten.
Gleichzeitig haben sich mit den FinTechs neue Unternehmen in der Branche etabliert, die ohne Legacy, mit schlanken Prozessen und hoher Kundenfokussierung für frischen Wind sorgen. Mit N26, Deposit Solutions oder Wirecard sind plötzliche neue Spieler am Markt, die von Investoren mit mehr als einer Milliarde Euro bewertet werden.
Welche Rolle nehmen Banken und Sparkassen deiner Meinung nach aktuell im Leben der Kunden ein und wie müsste das Finanzinstitut der Zukunft idealerweise konzipiert sein?
Für immer mehr Kunden sind Banken und Sparkassen ein notwendiges Übel, an das man sich zwar gewöhnt hat, das man aber nicht liebt. Und ihre Angebote sind beliebig austauschbare Commodities geworden. Und durch die in Banken noch immer vorherrschende „Produktdenke“ sind die Produkte meist wenig kundenzentriert.
Das Finanzinstitut der Zukunft solle meiner Meinung nach die wirklichen Bedürfnisse des Kunden in den Mittelpunkt stellen und sich aufmachen, echte Mehrwerte für konkrete Herausforderungen der Kunden zu bieten.
Ein Beispiel: kein Kunde möchte ernsthaft eine Baufinanzierung haben. Was der Kunde möchte ist: wohnen. Die Bank der Zukunft versteht den Kunden mit seinen Wünschen und wird dem Kunden eine umfassende Value Chain entlang seiner Bedürfnisse bieten. Auf das Beispiel bezogen bietet die Bank dem Kunden Entscheidungshilfen, ob Bau, Kauf oder Miete in seiner individuellen Situation vorteilhaft sind. Im Anschluss bietet sie einen kuratierten Marktplatz, passende Kauf- oder Mietangebote, empfiehlt „Trusted Partner“ für den Umzug oder die Renovierung und kümmert sich dann um die optimal strukturierte Finanzierung oder eine Mietbürgschaft.
Welche Chancen ergeben sich durch die Digitalisierung für Finanzinstitute?
Einige – sofern die Banken und Sparkassen diese auch als solche erkennen und annehmen. Die Digitalisierung ermöglicht u.a. maximale Individualisierung zu geringen Kosten, jedenfalls dann, wenn die IT im Hintergrund auf einem aktuellen Stand ist. Chat-Bots mit KI können Kunden 24/7-Service bieten und helfen, wiederkehrende Probleme zu identifizieren und zu beheben. Mittels digitaler Kanäle wie z.B. Videochat können selbst Kunden in abgelegenen Regionen kostengünstig und gleichzeitig individuell beraten werden. Und mittels Data Science könnten Zahlungs- und Metadaten genutzt werden, um dem Kunden mit seiner Zustimmung echte Mehrwerte zu bieten, wie z.B. eine Optimierung seiner regelmäßigen Ausgaben. Das ist heute bereits möglich.
Ein Stück weiter in die Zukunft geschaut könnten Banken ihren „Trust“, also das Vertrauen der Kunden in das jeweilige Institut, in die digitale Welt tragen und z.B. Krypto-Wallets anbieten, digitale Identity-Dienste auf der Blockchain ermöglichen oder integrierte Buchhaltungsdienste für Firmenkunden.
Welche Bedeutung werden Themen wie Künstliche Intelligenz, Big Data oder Augmented Reality künftig für Banken und Sparkassen haben?
Künstliche Intelligenz und Big Data drängen sich bei den Myriaden von Zahlungs- und Metadaten, über die die Banken verfügen, geradezu auf. Einerseits, um die Kosten für Marketing aber auch Fraud-Prävention zu senken, andererseits, um attraktive Mehrwertdienste für den Kunden zu ermöglichen.
Bei Virtual oder Augmented Reality bin ich dagegen eher skeptisch. Alle Ansätze, die ich dazu bisher von Banken gesehen habe, sind ehrlicherweise netter Spielkram ohne echten Mehrwert für den Kunden. Da sehe ich Anwendungsmöglichkeiten eher intern z.B. im Schulungsbereich.
FinTechs galten zu Beginn als die großen Herausforderer für Finanzinstitute. Wie siehst du ihre Rolle heute?
Das kann man so pauschal gar nicht beantworten. Einige wenige FinTechs dürfen sich auch weiterhin als echte Herausforderer sehen, allen voran erfolgreiche Neo-Banken wie N26, oder Revolut. Was daran liegt, dass sie sich als vollwertige Bank aufstellen und eine breite Palette von Finanzdienstleistungen anbieten.
Alle anderen Segmente haben recht schnell gemerkt, dass es ihnen an Trust und Reichweite fehlt, um allein im B2C-Bereich erfolgreich zu sein. Erfolgreich sind FinTech hier immer als Partner der klassischen Banken: wahlweise als White-Label-Technologieanbieter im Hintergrund oder als Kooperationspartner der Banken. Der Deal dahinter lautet immer: das FinTech gibt der Bank offen oder verdeckt Innovation und erhält im Gegenzug Geld oder Zugang zum Kundenpool. Am Ende gewinnen beide Seiten – und der Kunde.
Wie schätzt du die Bedrohung durch große Technologieunternehmen wie Amazon, Google oder Alibaba ein?
Big-Tech sehe ich als die eigentliche Bedrohung – sowohl für Banken als auch für FinTechs. Ihr Vorteil: sie verbinden die Stärken beider Seiten. Sie sind so innovativ wie FinTechs und haben gleichzeitig den Trust und die tiefen Taschen der Banken. Ehrlicherweise muss man sogar sagen, dass sie jeweils noch stärker sind. Amazon oder Google haben tausendmal mehr hochqualifizierte Developer als jedes FinTech und gleichzeitig so viel Cash, dass sie sich quasi jede Bank der Welt aus der Portokasse kaufen könnten.
Was sie darüber hinaus gefährlich macht ist, dass Banking für sie nicht das Kerngeschäft ist und sie hier gar kein Geld verdienen müssen. Banking-Funktionen dienen ihnen lediglich dazu, ihr jeweiliges Ökosystem zu erweitern um die Kunden weiter zu binden. Wenn Apple morgen zum Kunden sagt: „Wir führen seit Jahren Deinen iTunes-Account, die paar Buchungen für Gehalt, Miete und Co. regeln wir auch noch mit“, dann fällt das Girokonto als Ankerprodukt für die Banken ersatzlos weg.
Wie können sich Banken und Sparkassen im Wettbewerb mit Amazon und Co. behaupten?
Mittel- bis langfristig jedenfalls nicht mit dem Fokus auf Commodities wie dem Girokonto oder Payment. Der Zug ist eigentlich längst abgefahren. Auch bei der digitalen Identität wird es echt hart, wenn Apple oder Google das Feld für sich entdecken. Bleiben noch die Lebenswelten, die ich eingangs ansprach, sowie die ganzheitliche Finanzberatung. Wobei letztere weg muss vom aktuell vorherrschenden Produktvertrieb und hin zu individuellen Lösungen.
In jedem Fall müssen Banken und Sparkassen endlich schneller werden, kundenzentrierter und mutiger. Sie müssen alte Zöpfe abschneiden und auch so manche heilige Kuh schlachten. Das mag abgedroschen klingen, weil es schon so oft gesagt wurde. Nur sind den Sonntagsreden bisher kaum Taten gefolgt.
In einem unserer letzten Interviews skizzierte Gabriel Rath von der OstseeSparkasse Rostock die Sparkasse der Zukunft als vernetzte Plattform und regionaler Anlaufpunkt für verschiedene Themen. Wie ist deine Meinung dazu?
Da rennt Gabriel bei mir offene Türen ein. Das einzige USP der Sparkassen ist ihre Regionalität, ihre hyperlokale Vernetzung, ihre „Kiezkenntnisse“. Sie haben regelmäßig Marktanteile über 50%, kennen damit also mindestens jeden zweiten Privat- und Firmenkunden. Das ist ein echtes Ass, das es entsprechend zu spielen gilt.
Meine Haspa geht hier mittlerweile vielversprechend voran mit dem Umbau klassischer Filialen zu sogenannten „Nachbarschaftsfilialen“, mit der hyperlokalen App „kiekmo“ und dem Piloten der Firmenkundenplattform „Haspa Connect“.
Vielen Dank für das Gespräch.
*Disclaimer: Die Antworten auf die Fragen stellen ausdrücklich die persönliche Meinung von Tobias Baumgarten als Fintech-Blogger dar. Er spricht nicht im Namen der Haspa!
2 Kommentare
Sehe ich genauso. Vor allem zu Zeiten von niedrigen Zinsen wollen ja auch viele in Anlageobjekte investieren. Wenn man da als Bank nicht mit macht, verschliesst man sich einem nicht unerheblichen Markt. In jedem Fall danke für die Informationen und weiter so!
Vielen Dank für Deinen Kommentar. Wir geben weiter Vollgas ;).
Beste Grüße
Thomas