Wie gehen die Sparkassen aktuell und zukünftig mit dem Thema Metaverse um – und in welchen Geschäftsbereichen kann diese neue Technologie die größten Vorteile bringen? S-Hub-Leiterin Milena Rottensteiner analysiert im Interview den Status Quo und gibt Einschätzungen und Ausblicke.
GOLDILOCKS: Hallo Milena, was ist für dich ein Metaverse?
Milena Rottensteiner: Es gibt nicht das eine Metaversum, sondern eine Vielzahl von Plattformen und Anbietern, die ihre jeweilige Vision verwirklichen wollen, von Meta über The Sandbox bis Fortnite. Metaversen heben die Grenze zwischen physischer und digitaler Welt auf – sie sind phygital und immersiv. Sie gehen für mich deutlich über die Idee einer virtuellen 3D-Welt, die wir mit VR-Brillen erkunden, hinaus. Man kann komplett eintauchen und nicht nur anschauen.
Treffen wir uns bald in einem Metaverse zum nächsten Kund:innen-Termin?
Das kann sein, es ist aber ehrlich gesagt auch die naheliegendste Idee, dass wir einfach ein Abbild unserer physischen Welt in einer 3D-Welt bauen. Mir greift das zu kurz. Wir vom S-Hub fragen uns: Welche neuen Formen für Interaktionen, Kommunikation, Produkte und auch Infrastrukturen können wir gestalten? Wie können wir komplexe finanzielle Themen zugänglicher machen? Wie können wir Banking und Finanzen erlebbar machen, neue Ansätze entwickeln, um Finanzdaten zu entdecken?
Welche Chancen bietet ein Metaverse deiner Meinung nach?
Wahnsinnig viele. Von neuer Kundenbindung mit neuen Erlebnissen, Interaktionen und innovativer Finanzbildung bis zu neuen Produkten, Geschäftsmodellen oder eine neue Form des digitalen Besitztums. Die Bank of America nutzt über die VR-Lösung „Stivr” das Metaverse beispielsweise schon für HR- und Personal-Trainings: Sie üben schwierige Kund:innen-Gespräche oder das Entdecken von Betrugsabsichten.
Welche Risiken sollten die Sparkassen im Hinterkopf haben beim Thema Metaverse?
Das größte Risiko ist, Metaversen zu ignorieren oder abzutun. Beratungsfirmen wie McKinsey schätzen das Marktpotential im Bereich Metaverse auf fünf Billionen US-Dollar in 2030; Gartner prognostiziert, dass in 2026 ein Viertel der Weltbevölkerung täglich in einem Metaverse ist. Die Nutzer:innen-Akzeptanz und der Erfolg der Metaversen hängen von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere vom technischen Fortschritt.
Das Thema steckt definitiv noch in den Kinderschuhen, aber wir konnten das Potential des Internets in den Neunzigern auch noch nicht greifen. Im Web 2.0 sind ja auch einige Dinge schief gelaufen: der Umgang mit Daten, die extreme Kommerzialisierung und damit einhergehend die Monopolstellung der großen Tech-Konzerne. Inwiefern es in den Metaversen fairer wird, ist offen.
Was sind hier die Risiken auf struktureller Ebene?
Zum einen sind viele regulatorische Punkte noch offen, beispielsweise zu Betrugsrisiken, digitale Identitäten oder Datenschutz. Banken, die hier Initiativen starten, sollten im Idealfall schnell auf sich ändernde Vorschriften reagieren können. Gleichzeitig ist die Kernfrage, wie die systemischen Rahmenbedingungen aussehen werden. Sprich: Wer wird in der Entwicklung von Metaversen die Nase vorne haben und Standards setzen? Wird sich das Thema ähnlich entwickeln wie bei den großen Digital-Plattformen? Oder werden hier neue, dezentrale Plattformen vorherrschen – und werden diese interoperabel sein, also wird man seine Besitztümer, digitale Identität über die verschiedenen Plattformen hinweg nutzen können?
Gibt es konkrete Fragen oder Möglichkeiten eines Metaverse, an denen innerhalb der Sparkassengruppe schon gearbeitet wird?
Wir befinden uns in einer Research- und Beobachtungsphase. Das Interesse am Thema ist da, aber es ist auch für viele noch schwer greifbar. Im S-Hub haben wir uns dem Thema bisher experimentell genähert und mit STrade VR einen ersten Use Case entwickelt, um spielerisch zu erfahren, wie sich Wertpapierhandel eigentlich anfühlt, und wie Financial Education in einer virtuellen Umgebung funktionieren kann.
In welchen Unternehmensbereichen der Sparkassen sollte das Thema Metaverse mitgedacht werden?
Natürlich in der Kundeninteraktion, -kommunikation und -beratung sowie der Finanzbildung. Aber auch mit Blick auf neue Produkte oder Payment-Prozesse kann das Feld spannend sein. Intern sehe ich spannende Chancen im Recruiting und Mitarbeiterschulungen.
Welche spannenden Projekte kennst du aus anderen Banken?
Es gibt noch relativ wenige Beispiele – und in den wenigen Umsetzungen findet noch nicht allzu viel statt. Medial am präsentesten waren Großbanken wie JP Morgan oder HSBC, die virtuelles Land in Decentraland und The Sandbox gekauft haben, um dort virtuelle Filialen zu eröffnen. Auch die schweizerische Sygnum Bank hat eine Filiale im Decentraland aufgebaut. In der Onyx-Lounge von JP Morgan, die sich den Namen mit der Blockchain Einheit der Bank teilt, können Kund:innen Bankservices virtuell durchführen.
Was zwar nicht von Banken stammt, aber auch spannend ist: Decentraland hat im August in Zusammenarbeit mit Metaverse Architects Studio und Transak Payment Gateway den ersten ATM in seine virtuelle Welt gebracht. Dort bekommen Nutzer:innen Kryptowährung – so wie sie auch Geld in der echten Welt abheben.
Welchen Umgang mit dem Thema Metaverse empfiehlst du den Sparkassen?
Experimentieren, reflektieren, diskutieren. Und dann wieder von vorne. Ich glaube, dass wir auch hier – wie so oft bei technischen und kulturellen Innovationen – mit einem offenen „beginner’s mind“ weiterkommen. Gleichzeitig müssen wir immer wieder die strategischen Ziele der Sparkassen-Finanzgruppe im Hinterkopf behalten, um uns nicht zu verzetteln. Wir können noch nicht sicher sagen, wo die Reise hingeht, aber um nicht am Ende Nachzügler zu sein, sollten wir uns zumindest damit beschäftigen und eigene Erfahrung sammeln, statt den Anderen nur dabei zuzusehen.
Danke für deine Einschätzungen, Milena!
Die Fragen stellte Anissa Brinkhoff.
Dieser Beitrag wurde zuerst im Magazin GOLDILOCKS vom Sparkassen Innovation Hub und dem Fintech Newsletter finletter veröffentlicht. GOLDILOCKS gibt es kostenlos als App im Google Play Store und im App Store von Apple.
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